Bei der Manipulation von Schutzeinrichtungen werden diese bewusst unwirksam gemacht und so die Sicherheitsfunktion außer Kraft gesetzt. Die Wahrscheinlichkeit einer Manipulation steigt, wenn der Anreiz dazu hoch ist – wenn also das Schutzsystem die Arbeit behindert. Ein schlecht konstruiertes Schutzsystem kann Bedienenden beispielsweise das Einrichten, die Störungsbeseitigung oder die Reinigung einer Maschine erschweren. Durch das Manipulieren der Schutzeinrichtung können sie ihre Arbeitsaufgabe dann deutlich schneller erledigen. Aber auch wenn Schutzeinrichtungen in verketteten Anlagen ansprechen und vor- oder nachgeschaltete Maschinen stillsetzen und dadurch die Verfügbarkeit drastisch sinkt, kann das ein starkes Motiv für Manipulation sein.

Unfallbeispiel 1: In einem Betrieb, der Konserven herstellt, kam es an einer Etikettiermaschine immer wieder zu Störungen. Um diese schneller beheben zu können, wurde der Positionsschalter an der Schutztür zur Beleimstation manipuliert: Der Betätiger wurde demontiert und dauerhaft in den Schalter eingesteckt. Als eine Beschäftigte zur Störungsbehebung in die laufende Maschine griff, wurde sie in drehende Maschinenteile eingezogen. Bei dem Arbeitsunfall zog sich die Mitarbeiterin tödliche Verletzungen zu.

Unfallbeispiel 2: In einer Molkerei traten an einer Verpackungsmaschine für Joghurtbecher innerhalb einer halben Stunde fünfmal hintereinander Störungen bei der Positionierung der Steige auf. Der Maschinenbediener hatte daraufhin wohl eigenmächtig die Schutztür manipuliert, um die Steige ohne Abschaltung der Anlage ausrichten zu können. Bei einem der nächsten Eingriffe wurde der Beschäftigte durch die Bewegung des Greifers erfasst und mit Kopf und Oberkörper in die Maschine eingeklemmt – auch dieser Arbeitsunfall verlief tödlich.

Nicht selten sind Manipulationen zwar betrieblich verboten, werden aber von den Führungskräften im Arbeitsalltag trotzdem toleriert – und mit Aussagen wie „nur kurzzeitig“, „ausnahmsweise“ oder „geht nicht anders“ gerechtfertigt. Damit wird aber Manipulation zur akzeptierten Praxis im Betrieb.

Schritt für Schritt Manipulationen verhindern

Wer sich der VISION ZERO verpflichtet, für den muss die Manipulation von Schutzeinrichtungen tabu sein. Trotzdem wissen betriebliche Praktikerinnen und Praktiker ebenso wie erfahrene Aufsichtspersonen, dass Manipulationen nicht selten vorkommen. Und um diese auszuschließen, genügt es nicht, ein entsprechendes Verbotsschild an der Maschine anzubringen.

Das Verhindern von Manipulationen fängt bei der Beschaffung neuer Maschinen an. Achten Sie darauf, dass alle wichtigen Abläufe möglichst von einer Position außerhalb des Gefahrenbereichs beobachtet werden können. Das Schutzsystem darf nicht nur auf den Normalbetrieb ausgelegt sein. Auch das Einrichten der Maschine, die Störungsbeseitigung und Reinigung müssen leicht und schnell durchführbar sein, ohne dass Schutzeinrichtungen manipuliert werden müssen. Wenn dazu – beispielsweise beim Einrichten – mit geöffneter Schutzeinrichtung gearbeitet werden muss, sind spezielle Betriebsarten erforderlich, in denen die Maschine nur mit Sicherungsmaßnahmen wie einem Zustimmungstaster läuft.

Gefährdungsbeurteilung für Bestandsmaschinen

Zwei Mitarbeiter betreiben eine Maschine
Bei der Gefährdungsbeurteilung für Bestandsmaschinen stehen auch mögliche Anreize zur Manipulation der Schutzeinrichtungen im Fokus.

Für die Maschinen, die bereits im Betrieb sind, muss eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt werden. Dabei ist es sinnvoll, auch mögliche Anreize zur Manipulation der Schutzeinrichtungen zu analysieren. Wird festgestellt, dass ein hoher Manipulationsanreiz besteht, sind Maßnahmen erforderlich. Sofort handeln müssen Sie, wenn an einer Maschine bereits eine Manipulation festgestellt wird. Beziehen Sie auf alle Fälle die Maschinenbedienenden ein, um zu erfahren, was diese am Schutzsystem der Maschine stört. Nur so kann man zu Lösungen kommen, die von den Anwendenden auch akzeptiert werden. Bevorzugt müssen technische Maßnahmen ergriffen werden, um die Manipulation von Schutzeinrichtungen zu vermeiden. Dadurch wird der Anreiz genommen und damit die Ursache beseitigt. 

Häufig werden Positionsschalter von verriegelten Schutzeinrichtungen wie Türen, Klappen oder Hauben manipuliert. Ein Grund dafür ist, dass beim Öffnen der Schutzeinrichtung – beispielsweise zur Störungsbeseitigung – der gesamte Prozess stillgesetzt wird und dieser anschließend vom Maschinenbediener wieder aufwendig gestartet werden muss. Ein anderer Grund ist, dass Tätigkeiten, bei denen – wie beispielsweise beim Einrichten – ein Zugang zur laufenden Maschine bei geöffneten Schutzeinrichtungen notwendig ist, vom Hersteller nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Die Maschinenbedienenden behelfen sich dann mit einer Manipulation. In diesem Fall kann die Nachrüstung einer speziellen Betriebsart mit Tippbetrieb den Manipulationsanreiz beseitigen.

Dauerhaft entfernte Schutzeinrichtungen

Aber nicht nur Positionsschalter werden manipuliert. Auch das dauerhafte Entfernen einer feststehenden trennenden Schutzeinrichtung wie zum Beispiel eines Zaunelements oder einer mit Schrauben befestigten Verkleidung ist eine Manipulation. Häufig werden die entfernten Schutzeinrichtungen nur auf die Maschine aufgelegt oder angelehnt. Wenn dann in die Maschine eingegriffen werden muss, stellt man die Schutzeinrichtung einfach beiseite. Auch diese Art der Manipulation hat ihre Ursache häufig in einem falsch konstruierten Schutzsystem der Maschine oder der Anlage. Obwohl der Zugang zu einer bestimmten Stelle regelmäßig erfolgen muss, wird vom Hersteller oft der einfachste und kostengünstigste Weg der Absicherung gewählt. Die Maschine ist damit aber nur scheinbar sicher. Im betrieblichen Alltag zeigt sich, dass bei häufigen Reinigungs-, Umrüst- und Einstellarbeiten das vorgesehene Schutzsystem die Bedienenden zu stark bei der Ausführung ihrer Arbeit behindert. So wird das wiederholte Abmontieren und Anbringen von Schutzeinrichtungen als störend und zu zeitaufwendig empfunden. Dies führt leider oft dazu, dass die Schutzeinrichtung nicht mehr ordnungsgemäß befestigt wird.

Eine sinnvolle Lösung für dieses Problem besteht darin, die Schutzeinrichtung steuerungstechnisch mit der Gefahr bringenden Bewegung zu verriegeln oder ein anderes, gleichwertiges Konzept zur Absicherung vorzusehen, notfalls auch nachträglich.

Manipulation an Schutzeinrichtungen
Das Einrichten, die Störungsbeseitigung und Reinigung einer Maschine müssen durchführbar sein ohne Schutzeinrichtungen zu manipulieren.

Nachrüstungen und technische Änderungen

An dieser Stelle taucht häufig die besorgte Frage auf, ob solche Nachrüstungen oder technischen Änderungen an Maschinen als „wesentliche Veränderung“ im Sinne des Produktsicherheitsgesetzes (ProdSG) anzusehen sind, womit dann umfangreiche Pflichten auf den Betreiber zukommen. Ein vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) erstelltes Interpretationspapier beantwortet diese Frage aber eindeutig: Die Nachrüstung von Schutzeinrichtungen, die zu einer Erhöhung des Sicherheitsniveaus der Maschine führen, stellt keine wesentliche Veränderung dar.

Fachgerechte Instandhaltung statt Manipulation

Unfallbeispiel 3: In einer Bäckereifiliale wurde eine Brotschneidemaschine mit Sichelmesser betrieben. Der Positionsschalter an der Schutzhaube auf der Einlaufseite hatte sich gelöst. Anstatt die Maschine nun fachgerecht instand setzen zu lassen, wurde der Schalter mit Klebeband am Gehäuse befestigt. So wurde die Maschine dann weiterverwendet und monatelang ohne funktionsfähige Schutzeinrichtung betrieben. Es kam, wie es irgendwann kommen musste: Beim Einlegen eines Brotes geriet eine Verkäuferin in die ungesicherte Gefahrstelle – das anlaufende Sichelmesser trennte ihr die Hand ab.

Durch eine gute und möglichst vorbeugende Instandhaltung erreicht man einen Betriebsablauf mit weniger Störungen, was den Manipulationsanreiz deutlich verringert. Manchmal sind auch qualitativ schlechte Verpackungsmaterialien oder Hilfsstoffe die Ursache von Störungen, hier sollte auf die Spezifikationen des Maschinenherstellers geachtet und auf die Erfahrungen der Maschinenbedienenden im betrieblichen Alltag zurückgegriffen werden.

Zu den technischen Maßnahmen gehört auch, Manipulationen zu erschweren. Diese Maßnahmen sind eine sinnvolle Ergänzung, wenn der Manipulationsanreiz nicht weiter gesenkt werden kann. Zum Beispiel können Betätiger von Positionsschaltern so angebracht werden, dass sie nicht einfach abmontiert werden können, etwa durch verdeckten Einbau oder durch eine Befestigungsart, die sich nicht einfach lösen lässt, wie Kleben oder Schweißen. Auch Schalter mit individuell kodierten Betätigern sind nicht so leicht zu manipulieren.

Verkäuferin in Bäckerei bedient die Brotschneidemaschine
Bei der Suche nach den Ursachen für manipulierte Sicherheitseinrichtungen sind alle gefragt, die Maschinen bedienen, einrichten und instand halten – auch die Führungskräfte.

Betriebliche Präventionskultur pflegen

Die Verhinderung von Manipulationen ist aber nicht nur eine technische Angelegenheit, sondern auch wichtiger Bestandteil von Führung und der betrieblichen Präventionskultur. Nicht selten sind Manipulationen zwar betrieblich verboten, werden aber von den Führungskräften im Arbeitsalltag trotzdem toleriert – und mit Aussagen wie „nur kurzzeitig“, „ausnahmsweise“ oder „geht nicht anders“ gerechtfertigt. Damit wird aber Manipulation zur akzeptierten Praxis im Betrieb.

Im Sinne der VISION ZERO muss das Manipulationsverbot konsequent gelebt werden. Verstöße dagegen müssen thematisiert, die Ursachen gesucht und abgestellt werden. Bei der Suche nach den Ursachen empfiehlt es sich, alle betroffenen Personenkreise einzubeziehen, also sämtliche Personen, die Maschinen bedienen, einrichten und instand halten, sowie die zuständigen Führungskräfte. Nur so lassen sich die zur Manipulation führenden Interessenkonflikte verstehen, beispielsweise mögliche Konflikte zwischen dem Erreichen eines bestimmten Ausstoßes und dem Einhalten der Sicherheitsanweisungen. Und nur so lassen sich Schwierigkeiten bei der Lösungssuche – etwa technologisch veraltete Maschinen, fehlende Ersatzteile, Personalknappheit – thematisieren und auflösen.

Nicht nur die aktive Manipulation selbst, sondern auch deren Veranlassung, Duldung sowie das Unterlassen von Abhilfemaßnahmen wird dann, wenn „etwas passiert“, erhebliche strafrechtliche, zivilrechtliche und arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. 

Damit die Manipulation von Schutzeinrichtungen nicht bei jedem Einzelfall von Neuem thematisiert werden muss, sollten im Unternehmen einige grundlegende Absprachen und Festlegungen getroffen werden. Das beginnt mit der umfassenden Berücksichtigung von Sicherheits- und Gesundheitsaspekten bei der Bestellung neuer Maschinen und Geräte. Ferner sollten Möglichkeiten geschaffen werden, um erkannte Mängel und unsichere Zustände schnell an die Verantwortlichen melden zu können. Und schließlich muss im Betrieb die Grundregel fest verankert sein, dass grundsätzlich nicht weitergearbeitet werden darf, wenn gravierende Sicherheitsmängel erkannt werden.

Manipulation ist kein Kavaliersdelikt

Das Vermeiden von Manipulationen ist im betrieblichen Alltag sicher kein leichtes Unterfangen, aber von größter Bedeutung im Hinblick auf das Erreichen des Ziels „Null Unfälle“. Der Vollständigkeit halber sei hier noch hinzugefügt: Auch aus juristischem Blickwinkel ist Manipulation kein Kavaliersdelikt. Nicht nur die aktive Manipulation selbst, sondern auch deren Veranlassung, Duldung sowie das Unterlassen von Abhilfemaßnahmen wird dann, wenn „etwas passiert“, erhebliche strafrechtliche, zivilrechtliche und arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Die Vermeidung der Manipulation von Schutzeinrichtungen liegt also im Interesse aller.