Jarek K. hat seine Heimat in Polen verlassen, um ein neues Leben in Deutschland zu beginnen. Seit ein paar Tagen arbeitet er in einem kleinen Futtermittelbetrieb. Obwohl er die deutsche Sprache kaum versteht, erscheint ihm der heutige Arbeitsauftrag des Geschäftsführers klar: Er soll das Silo reinigen. Jarek K. greift zu Leiter und Besen und steigt in den Behälter. Unter den Getreideresten erkennt er die offen liegende Förderschnecke nicht und sein Fuß wird von der rotierenden Schnecke erfasst. In der Folge dieses Arbeitsunfalls verliert der Mann einen Unterschenkel. Ergebnis der Unfalluntersuchung: Der Arbeitsauftrag des Geschäftsführers war, das Silo lediglich einer Sichtkontrolle von außen zu unterziehen – Jarek K. hatte das aber nicht richtig verstanden.

Die Vermittlung des Wissens von sicherer und gesunder Arbeit ist eine Kernaufgabe des Arbeitsschutzes. Das Unfallbeispiel zeigt überdeutlich, dass der Umgang mit fremdsprachigen Beschäftigten besonderes Feingefühl von den verantwortlichen Personen erfordert. Doch was muss und kann ein Unternehmen tun, damit fremdsprachige Beschäftigte sicher und gesund arbeiten können?

Die Mitarbeiter fühlen sich mitgenommen
Über Sprachbarrieren hinweg: Wissen zu sicherer und gesunder Arbeit zu vermitteln, ist eine Kernaufgabe des Arbeitsschutzes.

Gewohnte Strukturen nutzen

Fremdsprachige Beschäftigte müssen in die Organisation des Betriebs integriert werden, das umfasst auch alle Aspekte von Sicherheit und Gesundheit. Die Pflicht hierfür liegt beim Unternehmen. Beschäftigte können durch Deutschkurse gefördert werden, eine gesetzliche Verpflichtung zum Erlernen der Sprache besteht allerdings nicht. Die Beschäftigung fremdsprachiger Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen verlangt keine grundsätzlichen Veränderungen der Arbeitsschutzorganisation – am Anfang steht wie gewohnt die Gefährdungsbeurteilung.

Wenn ausgeprägte Verständigungsprobleme zu einer Gefährdung von Beschäftigten führen können, ist dies als eine unzureichende Qualifikation im Sinne des § 5 Arbeitsschutzgesetz zu betrachten. Das Unternehmen muss bewerten, ob die angedachte Tätigkeit trotz Verständigungsproblemen sicher durchgeführt werden kann und welche Schutzmaßnahmen gegebenenfalls notwendig sind. Die weiteren Kernelemente der Arbeitsschutzorganisation, insbesondere Sicherheitsunterweisungen und Betriebsanweisungen, müssen nicht zwangsläufig in der Muttersprache des Beschäftigten ausgeführt beziehungsweise bereitgestellt werden. Allerdings wird eine „für die Beschäftigten verständliche Form und Sprache“ gefordert, unter anderem in der Gefahrstoffverordnung. Ist eine sprachliche Verständigung nicht ausreichend möglich, lassen sich andere Medien wie Bilder und Videos zur Unterstützung einsetzen. Nicht ausreichend ist dagegen, den Betroffenen lediglich Unterlagen zum Selbststudium zu geben. Außerdem haben die Verantwortlichen regelmäßig zu kontrollieren, ob die Beschäftigten die Inhalte auch wirklich verstanden haben. Auf Sprache und Text lässt sich folglich nicht verzichten.

Übersetzungsapps und KI helfen

Zur Unterstützung bietet sich der Einsatz von Dolmetschern an. Diese Funktion können zum Beispiel geeignete zweisprachige Personen aus dem Betrieb übernehmen oder man greift auf Übersetzungsapps zurück. Der Vormarsch der künstlichen Intelligenz (KI) hat auf diesem Gebiet enorme Fortschritte gebracht. So lassen sich nicht nur Texte in Sekundenschnelle übersetzen, sondern auch Simultanübersetzungen mit Spracheingabe und -ausgabe nutzen. Neben Apps für das Smartphone gibt es spezielle Sprachcomputer. Diese sind handlich und schneller einsatzbereit als Smartphones, wodurch sich Sprachbarrieren quasi auf Knopfdruck abbauen lassen. Durch deren Einsatz kann ein dauerhafter Kommunikationsweg im Betrieb etabliert werden. Leider sind digitale Übersetzer noch nicht fehlerfrei, deswegen kann die Übersetzung komplexer Sätze schon mal zu Unverständnis beim Gegenüber führen. Die Zuverlässigkeit digitaler Übersetzungen lässt sich durch die Verwendung von einfacher Sprache erhöhen. So wirkt sich die Vermeidung von Fachbegriffen und zusammengesetzten Substantiven, die einheitliche Verwendung von Begriffen und die Formulierung einfacher und kurzer Sätze positiv auf das Übersetzungsergebnis aus. Werden Videos benötigt, lassen sich diese auf Videoplattformen mit übersetzten Untertiteln abspielen.

Tipps für Unterweisungen

Neben der Unterstützung durch Dolmetscher helfen folgende Tipps, die Verständlichkeit von Unterweisungsgesprächen in der Praxis zu erhöhen:

  • Die Durchführung des Gesprächs mit Einzelpersonen hat in der Regel einen höheren Nutzen als Gruppenunterweisungen.
  • Außerdem sollte man, wann immer möglich, das korrekte Verhalten praktisch demonstrieren, anstatt Anweisungen nur vorzulesen.
  • Zur Überprüfung, ob die Unterweisung tatsächlich verstanden wurde, sollte man sich den korrekten Ablauf von den Beschäftigten zeigen lassen und bei Bedarf nachbessern.
  • Andere Medien können die Unterweisung sinnvoll ergänzen, beispielsweise Betriebsanweisungen oder Videos. Als Unterstützung können Sie die Unterweisungskurzgespräche der BGN nutzen. Diese demonstrieren korrektes und fehlerhaftes Verhalten zu den wichtigen Arbeitsschutzthemen in den BGN-Mitgliedsbetrieben.
  • Benötigen Sie branchenfremde Angebote, kann sich ein Blick zu anderen Unfallversicherungsträgern lohnen, beispielsweise die Bausteine und Merkhefte der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU)oder die Wimmelbilder der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI). Hilfreich können auch die nonverbalen Videos der Napo-Filmreihe sein.
  • Ein besonderer Fokus bei der Unterweisung sollte auf die Erläuterung des Verhaltens im Notfall gelegt werden, da der reibungslose Ablauf in solchen Stresssituationen auch ohne Dolmetscher funktionieren muss.
Fachkraft gibt zwei Kollegen eine Unterweisung im Betrieb

Was hilft bei Betriebsanweisungen?

Wenn übersetzte Betriebsanweisungen nicht bereits von Herstellern oder Lieferanten bereitgestellt werden, können auch hier Übersetzungsapps wertvolle Unterstützung leisten. Eine schnelle Eins-zu-eins-Übersetzung stellt jedoch nicht zwangsweise einen Nutzen für den Arbeitsschutz dar. Die Verwendung von Bildern, zum Beispiel Fotos aus dem Betrieb, haben einen höheren praktischen Nutzen. In der Regel bedarf es für das Verständnis dann nur noch weniger Wörter oder kurzer Sätze in einfacher Sprache. Eine solche Betriebsanweisung findet, unabhängig von Sprachbarrieren, sicherlich mehr Beachtung als ein reines Textdokument. Eine Übersetzungskontrolle betrieblicher Textdokumente kann durch fremdsprachige Beschäftigte erfolgen oder durch den Abgleich der Ergebnisse mehrerer Übersetzungsprogramme.

Ein Team junger Köche bereitet Gerichte in einer geschäftigen Restaurantküche zu
Beispiel Gastronomie: Fremdsprachige Beschäftigte sind vielerorts Teil der Belegschaft – sie müssen in die Organisation des Betriebs integriert werden. Das umfasst auch alle Aspekte von Sicherheit und Gesundheit.

Best-Practice-Beispiele

In vielen Mitgliedsbetrieben der BGN sind fremdsprachige Beschäftigte bereits seit Jahrzehnten Teil der Belegschaft. Neben notwendigen Übersetzungen haben diese Unternehmen zusätzliche Maßnahmen ergriffen, mit denen die Betroffenen erfolgreich in den Arbeitsschutz integriert werden. Bewährt hat sich die Einführung von Patensystemen, wodurch eine persönliche Zugehörigkeit und Verantwortungsbewusstsein geschaffen werden.

Manche Unternehmen versuchen, lediglich eine Fremdsprache im Betrieb zu integrieren, sodass die Kommunikation innerhalb der Gruppe der fremdsprachigen Beschäftigten sichergestellt wird. Zweisprachige Schichtführer können dann als Bindeglied zwischen den beiden „Betriebssprachen“ eingesetzt werden. Es bietet sich zusätzlich an, diese Personen als Sicherheitsbeauftragte auszubilden, beispielsweise durch Teilnahme an Seminaren der BGN. Dadurch schafft man neben dem sprachlichen Bindeglied auch eines für den Arbeitsschutz.

In großen Unternehmen wurden teilweise Integrationsbeauftragte eingestellt, die fremdsprachige Angestellte auch außerhalb der Arbeitszeit im Alltag unterstützen. Damit werden auch Voraussetzungen für eine langfristige Bindung der Betroffenen an das Unternehmen geschaffen.

Für die Sicherstellung der sprachlichen Kommunikation bei Erste-Hilfe-Fällen können den Ersthelferinnen und Ersthelfern Listen mit den Sprachkompetenzen der Belegschaft ausgehändigt werden, sodass menschliche Übersetzer schnell hinzugezogen werden können.