„Arbeitssicherheit ist kein Nice-to-have, sondern Unternehmerverantwortung“
„Wir sind da, um Menschenleben zu retten.“ Das sagt Isabel Dienstbühl, Leiterin des Geschäftsbereichs Prävention bei der BGN. „Wir wollen erreichen, dass alle, die im Betrieb arbeiten, am Ende ihres Arbeitstages gesund und sicher nach Hause kommen.“ Im ersten von drei Teilen eines umfassenden Akzente-Interviews erklärt sie, warum die Gefährdungsbeurteilung nicht nur Unternehmerpflicht, sondern auch unverzichtbar ist, um Menschen vor Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten zu bewahren.
Akzente: Die Gefährdungsbeurteilung, kurz: GBU, ist ein fester Baustein der BGN-Strategie „VISION ZERO. Null Unfälle – gesund arbeiten.“. Warum lohnt es sich für jeden Betrieb, sie regelmäßig durchzuführen?
Isabel Dienstbühl: Wenn man eine GBU macht und sie regelmäßig fortschreibt, hat man im Unternehmen alles getan, um die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen und gleichzeitig mögliche Risiken zu minimieren. Das schließt auch Themen mit ein wie Vorsorge, Eingangsuntersuchungen, Gefahrstoffe, psychische Belastungen, Mutterschutz oder Jugendarbeitsschutz. Wer eine GBU durchführt, hat seinen Betrieb in Sachen Arbeitssicherheit und Gesundheit gut organisiert. Das lohnt sich in vielfacher Hinsicht: Der Betrieb hat wirtschaftlich weniger Ausfälle, weniger Fluktuation, weniger Unfälle.
Akzente: Kommen die Mitgliedsbetriebe der BGN der Pflicht zur GBU nach?
Dienstbühl: Obwohl sie gesetzlich verpflichtend ist, wird die GBU in manchen Betrieben wie ein Waisenkind behandelt: Entweder wissen die Verantwortlichen nichts davon oder sie scheuen den ersten Schritt. Das belegen die Zahlen der Dachevaluation der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie, kurz: GDA: Demnach gibt es in weniger als 50 Prozent der Betriebe in Deutschland eine GBU. Hier schlummert also noch viel Potenzial in Sachen Arbeitsschutz. Deshalb ist im Koalitionsvertrag vereinbart, dass Unternehmerinnen und Unternehmer von Kleinbetrieben, die in der alternativen Betreuung sind, ab 2025 in einer Selbsterklärung angeben müssen, dass sie über eine aktuelle GBU verfügen. Was schon seit 1996 im Arbeitsschutzgesetz steht, wird künftig konsequent eingefordert: Jede Unternehmerin und jeder Unternehmer muss sich dazu bekennen, dass sie oder er sich mit den Gefährdungen im eigenen Betrieb auseinandergesetzt hat, und das auch nachweisen.
Akzente: In welchen BGN-Branchen oder -Betrieben gibt es mit Blick auf die GBU das größte Verbesserungspotenzial?
Dienstbühl: Wir haben eine hohe Fluktuation, besonders im Gastgewerbe: Da werden pro Jahr 40.000 bis 50.000 Betriebe gegründet – und diese Neulinge haben erst mal ganz andere Probleme. Viele kämpfen um ihre Existenz, sind nicht gut organisiert und haben keine Ausbildung für die Branche. Für diese Unternehmerinnen und Unternehmer steht der Arbeitsschutz nicht auf Platz eins der Prioritätenliste. Unsere Informationen sind in der Regel noch nicht bis hierhin durchgedrungen, zum Glück ist meist noch kein Arbeitsunfall passiert und keine Berufskrankheit entstanden. Wenn wir in solchen Betrieben darauf drängen, sich um den Arbeitsschutz zu kümmern, ist deshalb unsere Erfolgsquote anfangs nicht so hoch. Das gelingt nach zwei, drei Jahren häufig besser, wenn ein Unternehmen sich gefestigt hat. Trotzdem müssen wir von Beginn an darauf hinweisen, dass hier eine gesetzliche Pflicht zu erfüllen ist: Arbeitssicherheit ist kein Nice-to-have, sondern Unternehmerverantwortung.
Akzente: Wie unterstützt die BGN ihre Betriebe konkret bei der Erstellung und der Aktualisierung der GBU?
Dienstbühl: In Kleinbetrieben mit bis zu zehn Beschäftigten, die sich für die BGN-Kompetenzzentrenbetreuung qualifiziert haben, schicken wir Arbeitsmediziner und Fachkräfte für Arbeitssicherheit zur Unterstützung bei allen Arbeitsschutzfragen – dazu gehören die Erstellung und Fortschreibung der GBU. Eine bessere Unterstützung kann es nicht geben, zudem entstehen für die Betriebe hier keine Kosten: Diese Leistung ist mit dem Mitgliedsbeitrag abgedeckt. Gleichzeitig bieten wir auf der BGN-Website zahlreiche Handlungshilfen zur Erstellung der Gefährdungsbeurteilung an, sortiert nach Branchen und Betriebsgrößen. Hinzu kommen viele Seminare zu verschiedenen Aspekten des Arbeitsschutzes in den unterschiedlichen BGN-Branchen, man muss nur den Suchbegriff „Gefährdungsbeurteilung“ eingeben.
Akzente: Was ist Ihr Tipp für Unternehmerinnen und Unternehmer: Wie gelingt der erste Schritt zur GBU?
Dienstbühl: Vorab sollte man sich klarmachen: In allen Betrieben muss die sicherheitstechnische und arbeitsmedizinische Betreuung für alle Beschäftigten gewährleistet sein – und nach dem Arbeitssicherheitsgesetz müssen auch entsprechende Ansprechpersonen zur Verfügung stehen. Diese Beratung können und sollten die Verantwortlichen im Betrieb einfordern, um gemeinsam mit einem Dienstleister die ersten Schritte zu tun. Auf Dauer werden die wenigsten externe Unterstützung benötigen. Wer seinen Betrieb kennt, kriegt das auf Sicht auch allein hin. Zudem kann man jederzeit seine Aufsichtsperson bei der BGN anrufen. Wer unsicher ist, an wen er sich wenden kann: Auf unserer Website findet jeder Betrieb anhand von Branche und Postleitzahl seine zuständige Aufsichtsperson.
Akzente: Quo vadis GBU: Was wird sich in Zukunft verändern?
Dienstbühl: Die Kontrollen werden zunehmen, und zwar aus zwei Gründen: Erstens gibt es das Arbeitsschutzkontrollgesetz, das im Zuge der Coronapandemie eingeführt wurde und Besichtigungsquoten der Länder festschreibt. Parallel dazu wurde auch festgelegt, dass das Personal in den Länderaufsichten erhöht wird. Beides wird dazu führen, dass die Kontrollen engmaschiger durchgeführt werden. Die Wahrscheinlichkeit einer Kontrolle sollte aber nicht dafür ausschlaggebend sein, dass ein Unternehmen sich mit diesem Thema beschäftigt. Die GBU selbst ist eine große Erkenntnisquelle. Wenn es einem Betrieb wichtig ist, Mitarbeitende zu halten, Voraussetzungen für gesundes und sicheres Arbeiten zu schaffen und wirtschaftliche Nachteile zu vermeiden, dann sollte er sich konsequent um die GBU kümmern.
Akzente: Wird es bald möglich sein, die GBU digital zu erledigen?
Dienstbühl: Ja. Im Extranet der BGN schaffen wir derzeit einen Bereich, in dem unsere Mitgliedsbetriebe die Unterlagen dafür ablegen, bearbeiten und fortschreiben können und digital durch alle Schritte geführt werden. Wir hoffen, dass wir 2025 damit starten können – pünktlich zum Erscheinen der neuen DGUV Vorschrift 2 und der dann neu eingeführten Selbsterklärung für Kleinbetriebe in der alternativen Betreuung, dass sie eine GBU haben. Wir wollen es den Betrieben dann auf digitalem Weg so einfach wie möglich machen, dieser Pflicht nachzukommen.
Isabel Dienstbühl
ist Leiterin des Geschäftsbereichs Prävention und seit 1997 bei der BGN.
„In der Prävention arbeiten rund 430 Beschäftigte. Wir haben Ärzte, Ingenieure, Chemiker, Psychologen und Fachleute aus vielen weiteren Disziplinen, weil die Risiken in den Unternehmen auch aus unterschiedlichen Quellen kommen. Gemeinsam verfolgen wir dasselbe Ziel: alles zu versuchen, dass draußen in unseren Mitgliedsbetrieben erst gar keine Unfälle passieren und die Menschen nicht krank werden“, sagt sie. „Gleichzeitig haben wir auch eine Aufsichtsfunktion: Die Kolleginnen und Kollegen gehen in die Betriebe, kontrollieren und setzen die gesetzlichen Anforderungen in puncto Arbeitssicherheit durch. Wir wollen erreichen, dass die Menschen in den BGN-Mitgliedsbetrieben am Ende ihres Arbeitstages gesund und sicher nach Hause kommen.“
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