Der XXL-Höhenrausch von Anja Götzke
Interkulturelle Kommunikation auf dem Lukasmarkt

Sprachbarrieren im Schaustellergewerbe: Wie versteht ihr euch?

Wie ein Papagei, der durch eine verschneite Winterlandschaft fliegt – so könnte man sich die Tätigkeit als Saisonarbeitskraft im Ausland vorstellen. Unbekanntes Terrain, eine fremde Umgebung, in der man sich erst zurechtfinden muss. Viele Fragen drängen sich auf: Passe ich hierher? Wie arrangiere ich mich mit meiner neuen Umgebung? Wie komme ich mit anderen ins Gespräch, wenn ich kein Wort ihrer Sprache verstehe?

Wenn Menschen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen aufeinandertreffen, dann treffen auch unterschiedliche Gewohnheiten, Wertvorstellungen, Normen und Sprachen aufeinander. Müssen wichtige Inhalte vermittelt werden, kann das herausfordernd sein. Interkulturelle Kommunikation beschreibt den Prozess, wie Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen erfolgreich miteinander kommunizieren, mit und ohne Worte. Sie ist der Grundstein eines jeden Miteinanders und die Voraussetzung für das Gelingen gemeinsamer Vorhaben. Globalisierung, Fachkräftemangel, Digitalisierung – interkulturelle Zusammenarbeit ist längst Teil unseres Alltags. So wie die Papageien – die eigentlich indische Halsbandsittiche sind – nun rund um die BGN-Hauptverwaltung in Mannheim heimisch sind, gehört auch kulturelle Vielfalt zur Normalität auf Jahrmärkten.

Wie versteht ihr euch? Diese Frage hat AKZENTE auf dem Lukasmarkt in Mayen mehreren Schaustellerinnen und Schaustellern gestellt. Denn auch die traditionelle Schaustellerbranche ist seit Langem multikulturell geprägt. In Gesprächen erzählen die Befragten, wie sie den zumeist aus dem Ausland kommenden Saisonarbeitskräften in ihren Teams Arbeitssicherheit vermitteln – und warum das nicht immer einfach ist.

Anja Götzke vor ihrem XXL-Höhenrausch

Man möchte seine Mitarbeitenden schützen. Auch wenn in anderen Betrieben etwas passiert, nimmt einen das schon mit. Denn man weiß, dass es nur ein ganz schmaler Grat sein kann, ob ein Unfall passiert.

„Wir fangen immer wieder bei null an“ 

Es ist ein grauer, kalter Regentag auf dem Lukasmarkt. Gestern war der letzte Aufbautag, es ging zu wie in einem Ameisenhaufen: hektisch und zugleich routiniert. Heute, kurz vor Öffnung des Marktes, herrscht eine besondere Stimmung. Zwischen bunten Farben und fröhlicher Musik bereiten sich die Schaustellerinnen, Schausteller und ihre Teams vor. Hier muss jede und jeder wissen, was zu tun ist, damit der Betrieb läuft. Anja Götzke, Schaustellerin aus München, sitzt an der Kasse des Fahrgeschäfts „XXL-Höhenrausch“, das ihr seit 2017 gehört. In ihrem Betrieb arbeiten drei bis vier Beschäftigte, ihr Sohn und sie. Die Mitarbeitenden kommen ausschließlich aus Rumänien. „Verschiedene Nationen zu mischen, ist schwierig, weil es dann untereinander oft Sprachbarrieren gibt“, erklärt sie. 

Götzke setzt auf das Train-the-Trainer-Modell: Sie hat langjährige Mitarbeitende, die die Einweisung neuer Kollegen übernehmen und ihnen die wichtigsten Abläufe erklären. „Wichtige Hinweise haben wir auf Rumänisch übersetzen lassen, damit alle wissen, wo es Gefahrenstellen gibt und wie Unfälle vermieden werden.“ Das so umsetzen zu können, bezeichnet Götzke als Glück. Mit jeder Saison sei wieder offen, wie sich die Lebensumstände ihrer Mitarbeitenden verändert haben und wer wiederkommt: „Wir fangen immer wieder bei null an.“ Während früher ihre Schaustellergehilfen primär aus Polen kamen, arbeiten heute Rumänen in ihrem Betrieb. Um Arbeitssicherheit zu vermitteln, setzt sie auf deutliche Kommunikation – und Abschreckung, indem sie auch von tödlichen Unfällen erzählt.

„Wir betreiben das Fahrgeschäft ‚XXL-Höhenrausch‘ mit drei bis vier Beschäftigten aus Rumänien. Verschiedene Nationen zu mischen, ist schwierig, weil es dann untereinander oft Sprachbarrieren gibt.“

„Bei der BGN lernt man auch Sachen, die man vorher nicht gehört und gesehen hat“

Marco Sottile, Schausteller in fünfter Generation, betreibt das Kinderkarussell „Euro Car“ und einen Greifer. Seit 20 Jahren arbeitet er mit einem Polen und einem Deutschen zusammen. „Gutes Vorbild zu sein, reicht oft aus“, weiß Sottile aus Erfahrung. „Man braucht keine Zettel oder Übersetzungen, wenn erfahrene Mitarbeitende die Neuen anleiten.“ Sauberkeit und Ordnung seien ihm wichtig: „Das strahlt nach außen – und erhöht die Sicherheit.“

Marco Sottile vor seinem Kinderkarussell Euro-Car

Gutes Vorbild zu sein, reicht oft aus. Man braucht keine Zettel oder Übersetzungen, wenn erfahrene Mitarbeitende die Neuen anleiten.

Sottile setzt auf langfristige Mitarbeitende und übersichtliche Strukturen. Die Arbeitssicherheit vermittelt er durch Erfahrung und Beispiele. Er betont, dass ihm die BGN-Schulungen geholfen haben: „Dort lernt man Dinge, die man vorher nicht gesehen hat.“

Die Zukunft sieht Marco Sottile ähnlich wie Anja Götzke: „Die Interessen haben sich verändert. Als ich Kind war, hatten wir zwei Mitarbeiter im Autoscooter. Sie waren 50 Jahre im Betrieb.“ Heute stehe das Geld im Fokus. Aber geht es darum nicht auf beiden Seiten? Menschen, die in Deutschland arbeiten möchten, um sich eine bessere Zukunft erwirtschaften zu können, treffen auf Unternehmerinnen und Unternehmer, die mit steigenden Kosten und sinkenden Umsätzen konfrontiert sind.

„Ich kann nur weg, wenn ich mich darauf verlassen kann, dass alle sicher arbeiten“

Hinter dem „XXL-Höhenrausch“ von Anja Götzke betreibt Edmund Diebold junior aus Augsburg einen Autoscooter. Ebenso wie Götzke und Sottile sieht er sich als Schausteller aus Tradition und sich mit einem wachsenden Mangel an qualifizierten, verlässlichen Mitarbeitenden konfrontiert. Auch Diebold berichtet von Herausforderungen durch den Generationenwechsel.

Der Augsburger setzt bewusst auf ein langjähriges rumänisches Teammitglied, das neue Mitarbeitende einarbeitet und bei Bedarf Übersetzungen übernimmt. Er verzichtet auf externe Vermittlungsagenturen, die Gebühren verlangen. Edmund Diebold junior erzählt wie Anja Götzke von Mitarbeitenden, die nach kürzester Zeit weiterziehen. Mit Stellenanzeigen auf Rumänisch und klarer Kommunikation will er langfristig motivierte Arbeitskräfte finden und das Fluktuationsproblem in den Griff bekommen.

Edmund Diebold junior an seinem Autoscooter

Wenn jemand bleiben möchte und arbeiten will, dann können wir die Person weiterqualifizieren. Sie kann dann auch mal eine Schulung bei der BGN machen.

Arbeitssicherheit ist für Diebold ein zentrales Thema. Er unterweise persönlich oder erfahrene Teammitglieder übernähmen das, wobei er klare Strukturen und Abläufe vorgebe. Für Mitarbeitende, die länger bleiben, sieht Diebold Perspektiven: „Wenn jemand bleiben möchte und arbeiten will, dann können wir die Person weiterqualifizieren. Sie kann dann auch mal eine Schulung bei der BGN machen.“ 

Trotz der Schwierigkeiten liebt Diebold seine Arbeit, die er als Berufung sieht: „Ich bringe Freude in eine Stadt, leuchtende Kinderaugen. Das ist etwas Schönes. Wenn man Dienstleister ist, dann liebt man das, wenn gutes Feedback zurückkommt.“ Seit über 35 Jahren ist er auf dem Lukasmarkt in Mayen, stets mit dem Ziel, seine Kundschaft zufriedenzustellen und seine Mitarbeitenden sicher durch den Arbeitsalltag zu führen. Mit Ruhe, Erfahrung und einem genauen Blick für Details sorgt auch er dafür, dass alles reibungslos abläuft –  trotz Zeitdruck: „Ich kann nur weg, wenn ich mich darauf verlassen kann, dass alle sicher arbeiten“, sagt Diebold.

Und jetzt?

Ein Schaustellergehilfe aus Rumänien, er ist Mitte 20, erklärt sich bereit, mit AKZENTE zu sprechen. Er möchte anonym bleiben. Kann er sich vorstellen, langfristig für einen Schaustellerbetrieb zu arbeiten? Wie empfindet er die Arbeit? Die Arbeitsbedingungen findet er gut, die körperliche Arbeit mache ihm Spaß. Dann zu arbeiten, wenn andere freihaben, sei kein Problem für ihn. Er wolle Geld für seine Familie verdienen und für sich ansparen, damit er sich eine Ausbildung finanzieren kann und irgendwann eine eigene Wohnung oder sogar ein Haus. Langfristig in Deutschland zu bleiben oder sich an einen Betrieb zu binden, kann er sich nicht vorstellen. Gerade die Flexibilität, immer neu entscheiden zu können, wo er arbeiten möchte und wie lange, sei ihm wichtig. Er möchte von Saison zu Saison neu entscheiden. Wie versteht ihr euch? Er erklärt, dass das Team super sei. Sie würden sich sehr gut verstehen und mal auf Englisch, mal auf Rumänisch miteinander sprechen.

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„Ich bringe Freude in eine Stadt, leuchtende Kinderaugen. Das ist etwas Schönes. Wenn man Dienstleister ist, dann liebt man das, wenn gutes Feedback zurückkommt.“

Es bleibt die Frage, wie die Zukunft der Schaustellerei aussieht. Unternehmerinnen und Unternehmer brauchen engagierte, verlässliche Mitarbeitende. Gleichzeitig suchen junge Menschen nach Flexibilität und neuen Perspektiven. Klar ist: Nicht nur die Schaustellerbranche steht vor diesen Herausforderungen. Die Zukunft wird zeigen, wohin die Reise geht.