Anna Langenberg-Bienert und Toni Bienert vor dem Venetian Carousel
Erster Schaustellerbetrieb mit Arbeitsschutzmanagementsystem

Runde Sache

Venezianisch gestaltet, opulent verziert, stimmungsvoll beleuchtet: Das Karussell, mit dem Anna Langenberg-Bienert und Toni Bienert durch die Lande reisen, wirkt wie aus der Zeit gefallen und ist doch modern. Auch mit Blick auf die Arbeitssicherheit: Die Betreiber führten als erste Schausteller in Deutschland ein Arbeitsschutzmanagementsystem (AMS) ein – mit Unterstützung der BGN. Wie das gelang und was sie sich davon versprechen, erfuhr Akzente am Rande des Volksfestes Frühjahrssend in Münster.

Das „Venetian Carousel“ wirkt auf den ersten Blick 100 Jahre älter, als es tatsächlich ist. „Das war unsere Idee: Wir wollten ein Angebot auf die Festplätze bringen, mit dem alle drei Generationen gemeinsam Spaß haben können“, sagt Anna Langenberg-Bienert vom Duisburger Schaustellerbetrieb Hort Langenberg GbR. Deswegen machte sich die heute 37-Jährige gemeinsam mit ihrem Mann Toni Bienert und ihren Eltern im Spätsommer 2010 auf den Weg nach Norditalien, zum venezianischen Traditionshersteller Bertazzon. „Vor Ort haben wir das Karussell bestellt und nach unseren Vorstellungen bauen lassen“, erinnert sich Toni Bienert. Das Ergebnis kann sich sehen lassen, das Venetian Carousel strotzt vor feinen, handgemalten Details, auf zwei Etagen sind rund 60 Fahrgastplätze montiert: Pferde mit farbenfrohem Federschmuck, Sattel und Zaumzeug sowie üppig mit Fischen oder Muscheln verzierte Gondeln, manche mit Schirmchen oder gewundenem Dach. Damit auch wirklich alle Fahrgäste einen passenden Platz finden, orderten die Schausteller ein speziell für Rollstühle konzipiertes Gefährt mit geeigneten Sicherheitseinrichtungen sowie eine rollstuhlgerechte Rampe. „Bei uns können die Kleinen mit der Uroma fahren“, sagt Anna Langenberg-Bienert. „Das geht auf keiner Achterbahn und auch auf den meisten anderen Fahrgeschäften nicht.“

Luftaufnahme Venetian Carousel auf Frühjahrssend Münster

Der Send ist die größte Kirmes im Münsterland, die dreimal jährlich auf dem Schlossplatz in Münster stattfindet und insgesamt mehr als eine Million Besucher willkommen heißt.

Venetian Carousel auf der Frühjahrssend Münster

Das Venetian Carousel war beim Frühjahrssend 2025 zum ersten Mal dabei – und direkt ein nostalgisch anmutender Blickfang auf dem rund 32.000 qm großen Gelände.

Alte Tradition neu gestaltet

Seit 2011 ist das Schaustellerehepaar unter dem Motto „Alte Tradition, neu gestaltet“ mit dem Venetian Carousel unterwegs. „Von März bis November bereisen wir Volksfeste und Rummelplätze von unserm Stammsitz in Duisburg aus“, sagt Toni Bienert. Im Dezember führt die Route dann auf den Bremer Weihnachtsmarkt, wo das historisch anmutende Fahrgeschäft für Groß und Klein einen stimmungsvoll beleuchteten Blickfang zwischen Glühwein- und Lebkuchenbuden bieten dürfte.

600 Kilometer beträgt die weiteste Fahrstrecke zwischen zwei Spielorten in diesem Jahr – von Luxemburg nach Eisleben. „Wir reisen mit vier Fahrzeugen“, erklärt Toni Bienert, „zwei Transporter fürs Karussell, zwei zum Schlafen.“ In einem der Wohnwagen sind die beiden polnischen Schaustellergehilfen untergebracht. „Niko ist seit 2022 bei uns und er spricht gut Deutsch“, sagt der 40-Jährige, der wie die meisten Schausteller das Thema Sprachbarriere in der Belegschaft nur zu gut kennt. „Niko übersetzt vieles für Piotr, der seit 2023 dabei ist und kaum Deutsch spricht. Und wir beherrschen inzwischen selbst ein paar Brocken Polnisch und auch Rumänisch, ansonsten wäre die Abstimmung mit vielen Platznachbarn kaum möglich.“ Das gilt auch mit Blick auf den Arbeitsschutz, dessen Regeln die Mitarbeitenden kennen und befolgen müssen. „Wir wollen, dass alle gesund bleiben und wir einen vernünftigen Umgang miteinander haben“, betont Anna Langenberg-Bienert. „Wenn jemand ausfallen würde, hätten wir ein Problem: Kurzfristiger Ersatz ist in unserer Branche quasi nicht zu bekommen.“

Detailaufnahme Pferde auf Venetian Carousel

Italienische Handarbeit mit viel Liebe zum Detail, dazu dezente Beleuchtung: Auf opulent verzierten Pferden, Gondeln und Kutschen finden bis zu 60 Gäste Platz.

Eine Rollstuhlrampe ermöglicht Fahrgästen mit Handicap den Zugang zum Venetian Carousel

Auch Personen im Rollstuhl können dank der Rampe und eines speziell konzipierten Gefährts mit entsprechenden Sicherheitseinrichtungen dabeisein.

Zwei Tage Aufbau

„Der Karussellbetrieb an sich birgt kaum Risiken. Das ist ja kein ‚Breakdance‘“, sagt Toni Bienert und deutet auf das ungleich rasantere Fahrgeschäft nebenan. Dort rotieren eine geneigte Drehscheibe und die darauf montierten Gondelkreuze gegenläufig und wechseln immer wieder abrupt die Richtung. „Bei uns geht es gemächlicher zu. Die größte Unfallgefahr besteht beim Auf- und Abbau, der jeweils rund zwei Tage dauert.“ Hier gelte es beispielsweise Stolper- und Sturzverletzungen ebenso zu vermeiden wie Quetschungen. „Deswegen müssen unsere Mitarbeiter genau wissen, was sie bei welchem Arbeitsschritt zu tun haben, und immer die notwendige PSA wie Arbeitsschuhe, Handschuhe und Anstoßkappe tragen.“ Der Schausteller selbst müsse etwa besonders vorsichtig sein, wenn er mit dem Kran schwere Bauteile bewegt. Um dabei das Verletzungsrisiko für die Mitarbeitenden generell zu senken, nutzt der 40-Jährige Hebebänder mit Schlaufen anstelle einer Kette, der Kranhaken wird hochgebunden.

„Arbeitsschutz spielt bei uns schon immer eine große Rolle“, sagt Anna Langenberg-Bienert, deren Betrieb seit 2018 erfolgreich am BGN-Prämienverfahren teilnimmt. „Die Gesundheit unserer Mitarbeiter und natürlich unsere eigene haben höchste Priorität. Die Geldprämie ist ein schöner Nebeneffekt.“

Arbeitsschutz mit System

Um Arbeitsunfällen noch systematischer vorzubeugen, hat sich das Schaustellerehepaar im Frühjahr 2024 entschlossen, ein Arbeitsschutzmanagementsystem (AMS) einzuführen. Der Impuls dazu kam von der BGN. „Es hieß, unser Betrieb hätte beste Voraussetzungen dafür und würde von einem AMS profitieren“, blickt Toni Bienert zurück. Als Ludger Stennes, AMS-Berater bei der BGN, dann mit einem Batzen Papier zu den Schaustellern kam, waren diese im ersten Moment nicht gerade begeistert. „Das sah nach viel Papierkram aus. Bei einem AMS denkt man ja auch eher an große Betriebe“, sagt der Schausteller. Doch die BGN kann bei Kleinbetrieben viele Anforderungen praxisnah anpassen. „Das AMS wurde auf unseren Schaustellerbetrieb zugeschnitten und alle schon erfüllten Vorgaben wurden berücksichtigt. Ludger Stennes hat uns motiviert: Ihr schafft das!“

Anna Langenberg-Bienert und Toni Bienert im Kassenhäuschen des Venetian Carousel
Kassenhäuschen und Kommandozentrale in einem: Von hier aus ...
Detailaufnahme Kassenhäuschen Venetian Carousel
... werden die Fahrchips verkauft, Lautsprecherdurchsagen gemacht,
Aus dem Kassenhäuschen steuert Anna Langenberg-Bienert das Venetian Carousel
... das Karussell gestartet und auch wieder gestoppt.
Schausteller Toni Bienert hat über den Überwachungsbildschirm das Geschehen auf dem Venetian Carousel im Blick
„Zum Fußballschauen ist der nicht“, sagt Toni Bienert mit Blick auf den Bildschirm.
Überwachungskamera auf dem Venetian Carousel
Acht Überwachungskameras filmen das Geschehen in allen Bereichen des Karussells,
Überwachungsbildschirm im Kassenhäuschen des Venetian Carousel
... damit der Schausteller vom Kassenhäuschen aus alles unter Kontrolle hat.

Was die Einführung eines AMS einem Betrieb abverlangt und warum sich der Einsatz lohnt, erklärt Rolf Jungebloed, Branchenkoordinator Schausteller bei der BGN: „Wenn ein Unternehmen ein AMS haben möchte, müssen alle den Arbeitsschutz als wichtige Führungsaufgabe betrachten und bereit sein, dafür klare Strukturen und festgelegte Prozesse zu schaffen.“ Das bedeute auch, die erforderlichen Dokumentationen zu erstellen und zu pflegen. Es gehe darum, Arbeitsschutz als integrierten Prozess im Unternehmen zu verstehen – und auch zu beschreiben. „Wenn das alles mithilfe eines AMS konsequent in die laufenden Prozesse und Handlungen eingebracht wird“, ist Rolf Jungebloed überzeugt, „dann verselbstständigen sich gute, sichere Abläufe und die Zahl der Arbeitsunfälle sinkt dauerhaft.“

Bilder sagen mehr als Worte

Auf dem Weg von der Idee zur Umsetzung konnten die Schausteller auf die BGN zählen. „Uns hat Ludger Stennes als AMS-Berater der BGN durch den ganzen Prozess begleitet“, erklärt Anna Langenberg-Bienert. Am Anfang stand die Bestandsaufnahme. „Wir haben gemeinsam die Betriebsabläufe betrachtet und geprüft, wo wir mit Blick auf die Arbeitssicherheit stehen. Das Gute: Im Prinzip war schon alles vorhanden.“ Durch die jahrelange Teilnahme am BGN-Prämienverfahren waren die meisten Arbeitsschritte bereits dokumentiert, hier und da musste noch etwas gefeilt werden. „Es ging vor allem darum, alles zusammenzufassen. Ludger Stennes hat uns darauf hingewiesen, was noch zu erledigen ist und wie wir das am besten hinkriegen. Die Arbeit mussten wir dann aber schon selbst machen“, sagt die 37-Jährige und lacht.

Neu erstellt wurde beispielsweise ein chronologischer Auf- und Abbauplan, den die Betreiber mit mehr als 200 Fotos dokumentierten. „Wir haben Schritt für Schritt abgebildet, was wann auf welche Weise zu tun ist“, sagt Anna Langenberg-Bienert. Das könne auch beim Einarbeiten neuer Mitarbeiter hilfreich sein, denn die Bilder zeigen – über alle Sprachbarrieren hinweg – präzise und unmissverständlich, welche Handgriffe wie auszuführen sind.

Anna Langenberg-Bienert im Kassenhäuschen des Venetian Carousel

Ganz wichtig bei der Einführung eines AMS ist: Wer schreibt, der bleibt. Alles muss dokumentiert werden, das musste ich tatsächlich lernen.

Nagelprobe bestanden

Beim Vor-Audit wurde die abschließende Begutachtung dann gemeinsam mit Ludger Stennes schon mal simuliert: Sind alle Prozesse sicher, werden alle Vorschriften beachtet, ist der Arbeitsschutz in allen Bereichen dokumentiert, sind die Unterlagen jederzeit verfügbar? „Wenn man diese Vorprüfung bestanden hat, ist das Audit fast ein Selbstläufer“, sagt Toni Bienert. Das Audit ist der finale Schritt: eine unabhängige Überprüfung der Wirksamkeit des betrieblichen AMS durch die BGN. Dieser Termin fand Mitte November 2024 erfolgreich statt – weniger als ein Jahr nach Beginn des Verfahrens. Seitdem führen Anna Langenberg-Bienert und Toni Bienert als erste Schausteller in Deutschland das BGN-Gütesiegel „Sicher mit System“, den offiziellen Beleg dafür, dass sie im Arbeitsschutz einen bestens organisierten Betrieb führen. „Rückblickend kann ich sagen: Das hat nicht wehgetan“, freut sich Anna Langenberg-Bienert. „Wenn man gut vorbereitet ist und seine Hausaufgaben macht, dann ist der Weg zum AMS halb so wild.“

Jetzt gelte es dranzubleiben. „Ganz wichtig ist: Wer schreibt, der bleibt. Alles muss dokumentiert werden, das musste ich tatsächlich lernen.“ Damit stehen die Chancen bestens, den AMS-Standard zu halten – auch über die dreijährige Geltungsdauer des Zertifikats hinaus. „Danach wollen wir das Ganze unbedingt verlängern, dafür tun wir weiterhin alles. Dank des AMS fällt das nun leichter, weil die notwendigen Prozesse jetzt klar strukturiert sind.“

Schaustellergehilfe verschließt Venetian Carousel mit Plane
Nach dem Aufbau wird das Karussell bis zum Betriebsbeginn gesichert. Von oben …
Schaustellergehilfen verschließen Venetian Carousel mit Plane
… und von unten ziehen die beiden Schaustellergehilfen eine wetterfeste Plane …
Detailaufnahmen der Pferde auf dem Venetian Carousel
… rundherum, bis auch das letzte Pferdchen im Trockenen steht und unbefugter Zutritt …
Schaustellergehilfen verschließen Venetian Carousel mit Plane
… nicht mehr möglich ist. Noch ein letztes Schlupfloch wird geschlossen, dann …
Schaustellergehilfe verschließt Venetian Carousel mit Plane
… kann das Venetian Carousel gut verpackt auf den Start des Frühjahrssend warten.

Viel Schweiß und Leidenschaft, manchmal auch Tränen

Während das Venetian Carousel schon steht, wird nebenan bei der Bier- und Würstchenbude sowie den Fahrgeschäften „Wilde Maus“ und „Breakdance“ noch fleißig geschleppt, gehämmert und geschraubt. Am kommenden Tag beginnt der Münsteraner Frühjahrssend und damit auch die diesjährige Saison für die Bienerts und ihr Team. Aufbau, Karussellbetrieb, Abbau, Weiterreise zum nächsten Spielort, zwischendurch mal ein „stilles“ Wochenende. Und dann alles wieder von vorne. Das wird ihr Leben sein bis vor Weihnachten. „Man muss diesen Beruf leben, sonst geht man unter“, sagt Anna Langenberg-Bienert, „aber wir werden auch mit ganz vielen schönen Momenten belohnt.“

Einer davon spielte sich auf dem Sommerfest an der Gedächtniskirche in Berlin ab. „Ein älteres Pärchen näherte sich unserem Karussell. Der Mann saß im Rollstuhl und war offensichtlich schlecht gelaunt“, erinnert sich Toni Bienert. Er habe den beiden angeboten, auf dem Venetian Carousel mitzufahren, und auf die Rollstuhlrampe verwiesen. Der Mann blieb mürrisch und abweisend, doch seine Frau habe ihn „gezwungen“, eine Runde mitzufahren. Die Rampe wurde angelegt, der ältere Herr im Rollstuhl aufs Karussell geschoben und festgeschnallt. „Der Dame haben wir auf ein Pferdchen geholfen, damit die beiden sich gegenübersitzen konnten“, sagt Toni Bienert. „Auf der ersten Runde war der Herr noch ganz griesgrämig, aber bei Runde zwei hat er bitterlich geweint vor Glück. Meine Frau hat direkt mitgeheult.“ Eine weitere Runde habe das Pärchen „aufs Haus“ bekommen, ergänzt Anna Langenberg-Bienert, Fotos zum Andenken inklusive. „An solchen Tagen weißt du einfach, dass du alles richtig machst.“

Stefan Weber und Rolf Jungebloed von der BGN überreichen das Zertifikat „Sicher mit System“ an Anna Langenberg-Bienert und Toni Bienert (v. l. n. r.)

Prämierter Arbeitsschutz: BGN-Aufsichtsperson Stefan Weber und Rolf Jungebloed, Branchenkoordinator Schausteller bei der BGN, überreichen das Zertifikat „Sicher mit System“ an Anna Langenberg-Bienert und Toni Bienert (v. l. n. r.).