
Das BGN-Spezialistenteam „ermittelt“
Wenn der Verdacht auf eine Berufskrankheit besteht, sind Berufsgenossenschaften verpflichtet zu ermitteln. Doch wann genau beginnt diese Pflicht, und wie gehen die Ermittlerinnen und Ermittler der BGN vor, um den Zusammenhang zwischen der Arbeit und einer Erkrankung festzustellen? Akzente klärt auf.
Achim Wienhold hat Hautkrebs und ist sich unsicher: Könnte die Krankheit etwas mit seiner Arbeit zu tun haben? Handelt es vielleicht um eine Berufskrankheit oder eher nicht? Er arbeitet als Lkw-Fahrer bei einem BGN-Mitgliedsbetrieb in der Getränkeindustrie, also meldet er seinen Verdacht bei der BGN.
Mit der Verdachtsmeldung hat Achim Wienhold den ersten Schritt getan, nun müssen die Spezialistinnen und Spezialisten der BGN prüfen, ob der Hautkrebs durch die Arbeit verursacht wurde und ob eine Anerkennung als Berufskrankheit infrage kommen könnte.
Systematisches Vorgehen
Zunächst steht „nur“ eine Vermutung im Raum, deshalb spricht man von einer sogenannten „Verdachtsmeldung“. Los geht es mit der retrospektiven Prüfung, die aus zwei Blöcken besteht:
Im medizinischen Block wird ärztlich geprüft, wo und ob eine körperliche Beeinträchtigung vorliegt.
Die arbeitstechnische Prüfung, die sogenannte „Arbeitsanamnese“, übernimmt das Expertenteam der BGN. Dabei wird eine Stellungnahme erstellt, die die berufliche Einwirkung auf den Versicherten – etwa die Bedingungen oder Abläufe am Arbeitsplatz – beleuchtet.
Was macht das Expertenteam der BGN aber genau? Das Vorgehen ähnelt einer Detektivarbeit: So werden etwa Beweise zusammengetragen, Zeuginnen und Zeugen befragt, Orte des Geschehens besichtigt, Proben vom Labor ausgewertet, wissenschaftliche Literatur gewälzt und Messprogramme verwendet.

Erste Schritte der Ermittlung
Für Lara Ernsting von der BGN ist die Nachricht der Regionaldirektion normaler Arbeitsalltag: „Verdacht auf BK 5103, es soll überprüft werden, wie groß die berufliche Einwirkung von natürlicher UV-Strahlung (Sonnenlicht) war“, so der Inhalt der E-Mail. „BK“ steht für Berufskrankheit, „5103“ ist die Nummer aus der Berufskrankheitenliste. Dort sind alle Fälle aufgelistet, die als Berufskrankheiten gelten.
Lara Ernsting hat jetzt die digitale Akte des Versicherten auf dem Bildschirm. Infos aus dem medizinischen Block wurden ihr bereits weitergegeben, nun muss sie in dem Fall ermitteln und prüfen: Bestätigt sich Achim Wienholds Verdacht auf eine Berufskrankheit? Welche Unterlagen zur Ermittlung vorliegen müssen, ist für jede Berufskrankheit genau vorgegeben.
Beweise sammeln mit System
Die BGN-Spezialistin weiß, wie sie vorgehen muss. Das Ziel: eine möglichst lückenlose Arbeitsanamnese. Um zu klären, ob eine versicherte Person durch ihre berufliche Tätigkeit krank wurde, ist in der gesetzlichen Unfallversicherung ein systematisches Vorgehen vorgeschrieben:
Was sagt der oder die Versicherte, was die Fachkraft für Arbeitssicherheit? Welche Zeuginnen und Zeugen müssen befragt, welche Indizien gesammelt werden? Welche Zeiträume sind zu berücksichtigen?
Nachdem sich Lara Ernsting in die Akte eingelesen hat, ruft sie den Betroffenen persönlich an: „Hallo Herr Wienhold? Mein Name ist Lara Ernsting von der BGN. Ich habe hier Ihre Verdachtsmeldung vorliegen und hätte dazu ein paar Fragen an Sie.“ Achim Wienhold muss genaue Angaben zu seinem Arbeitsalltag machen, die BGN-Spezialistin notiert sich exakt, wie lange der Lkw-Fahrer im Gebäude, im Fahrzeug und im Außenbereich gearbeitet hat. Sie schreibt zum Beispiel konkrete Tätigkeiten sowie die Arbeitszeiten auf und auch, ob und welche Schutzkleidung der Versicherte getragen hat.
Wenn der Verdacht auf eine Berufskrankheit besteht, ähnelt das Vorgehen des BGN-Expertenteams einer Detektivarbeit: Beweise werden zusammengetragen, Zeuginnen und Zeugen befragt, Orte des Geschehens besichtigt, Proben vom Labor ausgewertet, wissenschaftliche Literatur gewälzt und Messprogramme verwendet.
Weil stichhaltig nachgewiesen sein muss, was Achim Wienhold angegeben hat, kontaktiert Lara Ernsting noch den Arbeitgeber sowie einen weiteren Lkw-Fahrer. Die beiden Zeugenaussagen, für die die BGN die Einwilligung hat, decken sich mit Achim Wienholds Beschreibungen, die Schilderung des Versicherten ist plausibel.
Jetzt stehen Berechnungen an, für die die BGN ein anerkanntes Spezialprogramm nutzt, das den aktuellen wissenschaftlichen Stand widerspiegelt. Lara Ernsting gibt alle gesammelten Informationen ein und erhält einen spezifischen Wert. Diesen setzt die BGN-Spezialistin ins Verhältnis, genauer gesagt ermittelt sie zunächst die sogenannte „Lebensdosis“. Das ist die Einwirkung der Sonneneinstrahlung von Achims Wienholds Geburt an bis zum Erstdiagnosedatum. Dieser Wert wird dann in ein Verhältnis mit den beruflichen Einwirkungen gesetzt. Damit kann am Ende festgestellt werden, ob die erforderliche Strahlendosis für die Anerkennung als Berufskrankheit erreicht wird. Lara Ernsting kommt zum Ergebnis: Von der Arbeit als Lkw-Fahrer im BGN-Mitgliedsbetrieb allein kann der Hautkrebs nicht eindeutig als Berufskrankheit nachgewiesen werden. Aber auch Einwirkungen bei einem anderen Arbeitgeber, der nicht Mitglied der BGN ist, waren hinzuzurechnen.

Berufskrankheit oder nicht? Verschiedene Personen sind am Ermittlungs- und Feststellungsverfahren beteiligt.
Was die Mitarbeitenden der BGN sonst noch leisten:
Für die objektive Arbeitsplatzbeurteilung eines individuellen Falls unternehmen die Expertinnen und Experten der BGN noch viel mehr, zum Beispiel:
- Spurensuche am Ort des Geschehens (z. B. Probenentnahme mit Messtechnik, Bewegungsabläufe nachstellen)
- Fahrten ins Krankenhaus oder zur versicherten Person (nach Einwilligung und bei schwerer Erkrankung)
- Ermittlung nach dem Tod der versicherten Person, um zu überprüfen, ob Hinterbliebene Anspruch auf Leistungen haben
Ist der Fall abgeschlossen?
Die Arbeit der BGN-Expertinnen und -Experten ist in der Realität oftmals akribischer, aufwendiger und langwieriger als in diesem Beispiel dargestellt. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn nach einem langen Arbeitsleben bei vielen verschiedenen Arbeitgeber alle diese Tätigkeiten einzeln berücksichtigt werden müssen. In Achim Wienholds Fall fasst Lara Ernsting die Puzzleteile ihrer akribischen Detektivarbeit in einer „Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition“ zusammen. Das Gutachten schickt sie an die zuständige Regionaldirektion. Die entscheidet nun über Achim Wienholds Fall, unter anderem auf Grundlage der arbeitstechnischen Beurteilung der BGN-Spezialistin und der medizinischen Beurteilung einer unabhängigen Ärztin beziehungsweise eines unabhängigen Arztes.
Von der Verdachtsmeldung zur
Berufskrankheit: Die BGN zahlt
Erst in der Gesamtbetrachtung ist am Ende klar: Achim Wienhold hat eine Berufskrankheit. Damit erhält er gesetzlich festgelegte Leistungen von der BGN, etwa eine Heilbehandlung, in anderen Fällen könnte das beispielsweise auch eine Schutzausrüstung sein.
Wäre die BGN zu dem Ergebnis gekommen, dass keine Berufskrankheit vorliegt, hätte sie dies dem Versicherten in einem sogenannten Ablehnungsbescheid mitgeteilt. Wichtig zu wissen: Dagegen kann Widerspruch eingelegt und unter Umständen vor Gericht eine erneute Prüfung des Falls erwirkt werden. Ein Ablehnungsbescheid bedeutet aber nicht, dass die BGN-Versicherten entstandene Kosten selbst tragen müssen: Andere Akteure der Sozialversicherung – etwa die gesetzliche Krankenversicherung – sorgen dafür, dass alle BGN-Versicherten in guten Händen bleiben.
BGN-Themenseite „Berufskrankheit“.
Die richtigen Schritte bei einem Verdacht auf eine Berufskrankheit erläutert die
BGN-Themenseite „Berufskrankheit – was tun?“.
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