Alles bedacht?
Bei der Betrachtung der verschiedenen Arbeitsplätze im Betrieb wird ein Bereich meist schlicht vergessen: die Dächer. Dabei gehören diese zu den gefährlichsten Orten überhaupt – denn wenn man sich auf Dächer begibt oder sich dort aufhält, dann besteht auch immer das Risiko abzustürzen.
Handelt es sich bei Dächern überhaupt um Arbeitsplätze? Fragt man in Unternehmen nach, lautet die Antwort häufig: „Da muss doch niemand hoch!“ Die Realität sieht aber anders aus. Auf vielen Dächern sind mittlerweile Einrichtungen installiert, die von Zeit zu Zeit inspiziert, gewartet und – falls erforderlich – repariert werden müssen, zum Beispiel Lüftungs- oder Kälteanlagen, Solaranlagen oder Mobilfunkanlagen. Außerdem ist nicht auszuschließen, dass das Dach selbst instand gehalten werden muss, etwa bei Undichtigkeiten. Auch wenn Reinigungsarbeiten durchgeführt werden sollen, etwa die Beseitigung von Verschmutzungen an lichtdurchlässigen Flächen, müssen Menschen das Dach betreten. Das Räumen von Schnee, die Pflege von Dachbegrünungen oder das Reinigen von Dachrinnen können ebenfalls Anlässe sein, dem Gebäude „aufs Dach zu steigen“ – und manchmal ist schon der Zugang zum Dach lebensgefährlich.
Unfallbeispiel 1: Der Haustechniker einer Gaststätte wollte von der Dachfläche aus Reinigungsarbeiten durchführen. Zum Aufstieg nutzte er die an der Hauswand fest angebrachte Steigleiter. Als er nach dem Reinigungsgerät griff, das ihm ein Kollege anreichen wollte, verlor er den Halt und stürzte ab. Er verstarb an den dabei erlittenen Verletzungen.
Wenn dann die Dachfläche erreicht ist, gibt es weitere Absturzgefahren. Zum einen ist ein Absturz an der Dachkante möglich, unter Umständen droht zum anderen aber auch ein Durchsturz durch offene Dachluken, Lichtkuppeln, Lichtbänder oder nicht durchtrittsichere Beläge wie Faserzementplatten. Das Unfallgeschehen zeigt, dass gerade die zuletzt genannten Fälle besonders problematisch sind, denn die Absturzgefährdung ist hier nicht so offensichtlich erkennbar. Es ist wichtig zu wissen, dass Lichtkuppeln und Lichtbänder oft nicht oder nur über einen begrenzten Zeitraum nach ihrem Einbau durchsturzsicher sind. Insbesondere Materialien wie Polyethylen, PVC oder Polycarbonat verspröden schnell durch den ultravioletten Anteil der Sonnenstrahlung und brechen schon unter kleinen Belastungen.
Unfallbeispiel 2: Auf dem Dach einer älteren Lagerhalle sollten Lichtplatten aus glasfaserverstärktem Kunststoff durch Trapezbleche ersetzt werden. Drei Mitarbeiter des Betriebs bestiegen über eine Anlegeleiter das Dach und begannen ohne Sicherungsmaßnahmen mit der Arbeit. Als ein Beschäftigter auf eine der Lichtplatten trat, zerbrach diese und er stürzte fünf Meter tief auf den Hallenboden.
Muss zwingend jemand aufs Dach?
Bei der Festlegung von Schutzmaßnahmen gelten die im Arbeitsschutzgesetz verankerten allgemeinen Grundsätze. Für die konkrete Problemstellung bedeutet das, erst einmal darüber nachzudenken, ob ein Betreten beziehungsweise Begehen des Daches zwingend notwendig ist. Ablesevorgänge lassen sich vielleicht technisch so gestalten, dass sie von einem sicheren Bereich aus erfolgen. Zur Inspektion von Dachflächen könnte auch eine Drohne mit Kamera zum Einsatz kommen. Reinigungs- oder Instandhaltungsarbeiten im Bereich der Dachkante sind von einer Hubarbeitsbühne oder von einem Gerüst aus unter Umständen sicherer als von der Dachfläche selbst.
Wenn das Betreten des Daches nicht völlig vermeidbar ist, muss für einen sicheren Zugang gesorgt werden. Am besten ist der Zugang über eine innen liegende Treppe, die aufs Dach führt. Von dort aus sollten geeignete Verkehrswege zu den Stellen hinführen, an denen Tätigkeiten ausgeführt werden müssen, zum Beispiel zu den Aggregaten der Lüftungsanlage oder der Photovoltaik. Wenn die Verkehrswege näher als zwei Meter an eine Absturzkante heranführen, müssen sie mit einer Absturzsicherung versehen sein.
Risikofaktor Leiter
Außen liegende Treppen sind nicht ganz so gut geeignet als Zugang zur Dachfläche, noch problematischer sind Steigleitern, insbesondere wenn die Mitnahme von Werkzeug erforderlich ist oder wenn größere Höhenunterschiede überwunden werden müssen. Die Verwendung von Anlegeleitern schließlich ist nur dann akzeptabel, wenn betriebsmäßig kein Aufenthalt auf dem Dach erforderlich ist und ein Zugang lediglich im Ausnahmefall zur Behebung von Defekten nötig ist. Gerade dann aber sind die Arbeiten gut zu planen, denn in diesen Fällen ist im Dachbereich zumeist auch keine Infrastruktur für einen sicheren Aufenthalt vorhanden (Verkehrswege bzw. Anschlagpunkte für Persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz). In solchen Fällen ist zu prüfen, ob die Arbeiten überhaupt mit dem eigenen Personal sicher durchführbar sind oder ob nicht ein Fachbetrieb (etwa ein Dachdeckerunternehmen) damit beauftragt werden muss.
Unfallbeispiel 3: Um sich den defekten Öffnungsmechanismus einer Rauch- und Wärmeabzugsanlage anzusehen, betrat der Techniker eines Betriebs über ein Dachfenster ungesichert das Dach des Gebäudes. Auf den regennassen Dachpfannen des circa 30 Grad geneigten Schrägdachs rutschte der Techniker weg und das Dach herunter. Er fiel zwölf Meter in die Tiefe, der Absturz endete tödlich.
Unfallbeispiel 4: Zur Abdichtung undichter Stellen eines Flachdachs waren mehrere Beschäftigte im Einsatz. Um Pause zu machen, setzte sich ein Mitarbeiter auf eine auf dem Dach befindliche Lichtkuppel. Diese hielt dem Gewicht nicht stand und brach, der Beschäftigte fiel nach unten und zog sich beim Aufprall auf die unterhalb befindliche Produktionsanlage tödliche Verletzungen zu.
Wie bereits erwähnt sind Dächer mit nicht (mehr) durchtrittsicheren Lichtkuppeln oder Lichtbändern besonders problematisch, hier gab es in den vergangenen Jahren in BGN-Betrieben mehrere tödliche Absturzunfälle.
Zur Absicherung kann eine Umwehrung um diese Flächen herum errichtet werden, was sich in der Praxis aber als schwierig und umständlich erweist. Alternativ ist es möglich, unterhalb von Lichtkuppeln oder -bändern eine Durchsturzsicherung anzubringen. Tragfähige Gitter oder Stahlnetze sind hierfür eine geeignete Lösung. Es gibt auch Materialien, die dauerhaft durchbruchsicher sind, hier müssen aber die Angaben des Herstellers genau überprüft werden, um die erforderliche Sicherheit zu gewährleisten.
Persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA)
In den Fällen, in denen eine technische Absturzsicherung nicht wirksam ist, etwa bei Arbeiten an der Dachkante selbst oder in der Nähe von ungesicherten Dachöffnungen, muss Persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA) zum Einsatz kommen. Wer hier ohne PSAgA arbeitet, handelt unprofessionell. In der Praxis hängt deren Einsatz von der langfristigen Akzeptanz der Beschäftigten ab – dafür sind ein hoher Tragekomfort und eine einfache Handhabbarkeit entscheidend. Auffanggurte gelten als komfortabel, wenn sie genügend Bewegungsfreiheit bieten sowie schnell und einfach an- und ausgezogen werden können. Genügend Befestigungsmöglichkeiten, beispielsweise Schlaufen und Taschen für Werkzeug, sind ebenfalls wichtig, um die Tragebereitschaft zu erhöhen. Um unnötige Ausgaben für ungenutzte Ausrüstung zu vermeiden, ist es ratsam, die betreffenden Beschäftigten bei der Auswahl zu beteiligen. Sie kennen die praktischen Anforderungen am besten. Wenn die benötigten Funktionen klar sind, fällt die Auswahl im Fachhandel leichter.
Rückhaltesysteme sind oft die beste Wahl für Arbeiten auf Dachflächen, denn diese Art der PSAgA hält den Anwender schon vor der Absturzkante zurück. Sie ist damit sicherer, einfacher in der Anwendung und meist auch robuster als Auffangsysteme. Schutzausrüstungen, die einen Absturz zulassen, sind für begehbare Dachflächen häufig nicht geeignet. Obwohl dabei die abstürzende Person aufgefangen wird, sind der harte Bremsvorgang und das Anschlagen an Wänden, Pfosten oder Trägern fast immer mit erheblichen Verletzungen verbunden.
Praxistipp: Die Außenkanten von Dachblechen, durchbrochenen Lichtkuppeln und Faserzementplatten sind scharf. Bei einem Absturz kann das lebenswichtige Verbindungsmittel zum Anschlagpunkt zerschnitten werden. Deshalb müssen diese Verbindungsmittel kantengeprüft und für den horizontalen Einsatz geeignet sein.
Mehr Praxistauglichkeit, mehr Akzeptanz, mehr Sicherheit
Die Tragebereitschaft wird auch durch eine für die Aufgabe gut geeignete Art des Anschlagsystems erhöht. Wenn viele einzelne Anschlagpunkte auf der Dachfläche verteilt sind, muss beim Begehen häufig zwischen diesen festen Positionen gewechselt werden. Man ist bei jedem Standortwechsel gezwungen, die Verbindung zwischen Anschlagpunkt und Auffanggurt zu verlegen und manuell nachzustellen, um den richtigen Abstand zu gewährleisten. Gerade in Verbindung mit schwierigen Arbeitsbedingungen wie etwa schlechtem Wetter oder Zeitdruck führt dies in der Praxis dazu, dass Beschäftigte zunehmend genervt sind. Irgendwann unterbleiben dann das Umhängen und Nachstellen – damit ist aber die Schutzmaßnahme nicht mehr wirksam. Anschlageinrichtungen, die mit Drahtseilen oder Schienen verbunden sind, erleichtern unvermeidbare Arbeiten mit Absturzgefahr erheblich. Bei diesen Systemen entfallen die lästigen Wechsel von einem Anschlagpunkt zum nächsten, es genügt das einmalige Anschlagen. Danach hat man die Hände frei und kann ungestört arbeiten.
Schutzausrüstung gegen Absturz kann nur Leben retten, wenn sie benutzt wird. Benutzt wird das, was vor Ort vorhanden, bekannt und als hilfreich empfunden wird. Das beste Mittel gegen Berührungsängste oder Unklarheiten ist deshalb eine praktische Einweisung vor Ort. Ein persönlicher Austausch darüber, welche Handgriffe in bestimmten Situationen notwendig sind, schafft Vertrauen und Handlungssicherheit. Die Beschäftigten benötigen dieses Selbstvertrauen, um sich eigenständig für eine sichere Arbeitsweise zu entscheiden.
Bei Absturzgefahr nie allein arbeiten
Arbeiten mit Absturzgefahr sind immer gefährlich und dürfen deshalb niemals allein durchgeführt werden. Eine weitere Person muss sich in Ruf- und Sichtweite befinden, da im Absturzfall die Rettung unmittelbar eingeleitet werden muss. Die Alarmierung des Rettungsdienstes allein genügt hier nicht. Die hängende Person wird durch das unvermeidbare Anprallen an Bauwerksteile verletzt sein oder es kann sogar kurzfristig der Tod durch ein Hängetrauma eintreten. Deshalb müssen Beschäftigte nicht nur in der Lage sein, medizinische Hilfe zu leisten, sondern auch die Rettung von in Not geratenen Kolleginnen und Kollegen praktisch geübt haben. Ein Rettungskonzept bietet hierfür die notwendige Orientierung.
Die BGN unterstützt Sie kostenfrei und unabhängig bei der Auswahl der richtigen Schutzmaßnahmen. Wir beraten vor Ort bei der Beurteilung von Absturzgefahren, führen gemeinsam mit Ihnen praktische Übungen durch und schaffen damit Handlungs- und Investitionssicherheit.
BGN-Themenseite „Sicher hoch – gesund runter“
Fragen? Wenden Sie sich an unsere Forschungsgesellschaft für angewandte Systemsicherheit und Arbeitsmedizin (FSA), per Mail oder telefonisch.
Oder rufen Sie bei der technischen Hotline der BGN-Prävention an.
Mehr zur BGN-Strategie VISION ZERO, der Vision einer Welt ohne Arbeitsunfälle und arbeitsbedingte Erkrankungen