Der große Knall
In einem stillgelegten Granitsteinbruch im Nordschwarzwald lässt es die BGN fast täglich krachen. Mitten im Grünen führen Fachleute Staub- und Gasexplosionen herbei und untersuchen deren Auswirkungen. Die Arbeit auf der einzigartigen Versuchsanlage hilft dabei, Schutzkonzepte zu optimieren und die Betriebe der BGN-Branchen und ihre Beschäftigten vor Explosionen und deren Folgeschäden zu bewahren.
Überall Weißtannen, Kiefern und Fichten: Auf der Forststraße, die zu dem alten Steinbruch bei Kappelrodeck führt, sieht man den Nordschwarzwald vor lauter Bäumen nicht. Nichts scheint dieses grüne Idyll, das irgendwo zwischen Baden-Baden und Offenburg liegt, zu stören. Dann kracht es, dass die Nadeln an den Zweigen zittern. Eine enge Kurve weiter wird klar, woher der heftige Knall kam: Willkommen auf der Versuchsanlage Kappelrodeck, die die Forschungsgesellschaft für angewandte Systemsicherheit und Arbeitsmedizin mbH (FSA GmbH) gemeinsam mit der BGN betreibt.
Idyllisch hier. Was man mitten im Schwarzwald nicht unbedingt erwarten würde ...
... sind Silos für Explosionsversuche in diversen Größen, von mannshoch bis haushoch.
Hightech-Forschung im Grünen
Das Gelände eines ehemaligen Granitsteinbruchs sieht heute eher aus wie ein modernes Forschungslabor aus Beton und Stahl unter freiem Himmel, eingebettet in steile Felswände und dichten Nadelwald: massive Stahlbehälter von der mannshohen Tonne bis zum haushohen Silo, jede Menge Rohr- und Kabelleitungen, Druckluftflaschen in vielen Größen, dazu Treppen, Stangen und Leitern. Warum das alles? „Wir wollen hier durch praktische Versuche Erfahrungen sammeln, um den Explosionsschutz zu verbessern“, erklärt Felix Deibel. Er ist seit 2020 als wissenschaftlicher Mitarbeiter für die BGN in der Versuchsanlage tätig, außerdem auch Fachkraft für Arbeitssicherheit.
Verheerende Explosionen verhindern
Der Startschuss für die Versuchsanlage Kappelrodeck fiel bereits 1986, ausgelöst durch mehrere große Staubexplosionen in den 1970er- und 1980er-Jahren. Der verheerendste Unfall ereignete sich in der Rolandmühle Bremen, die im Februar 1979 infolge einer heftigen Mehlstaubexplosion und des dadurch ausgelösten Großbrandes völlig zerstört wurde. Die Folgen: 14 Tote, viele Schwerverletzte und ein Sachschaden in Höhe von rund 100 Millionen D-Mark.
„Wenn Getreide, Pellets oder staubige Schüttgüter wie Mehle, Zucker oder Gewürze transportiert, gelagert oder etwa bei Mahl- oder Mischprozessen verarbeitet werden, entstehen innerhalb der Anlage Staub-Luft-Gemische, die in bestimmten Konzentrationen explosionsfähig werden“, sagt Felix Deibel. Das betreffe neben der Futtermittelbranche, der Holz-, Chemie-, Pharma- sowie Metallindustrie natürlich auch die Lebensmittelbranche, in der viele BGN-Betriebe tätig sind. „Unsere Forschungsarbeit trägt dazu bei, mehr über die Ursachen und Auswirkungen von Staub- und Gasexplosionen zu erfahren, um die Unternehmen und ihre Mitarbeitenden optimal beraten und schützen zu können.“
Knalleffekte in sicherer Umgebung
„Lieber rumpelt es hier bei uns im Steinbruch als in der Industrie“, sagt Felix Deibel mit einem Augenzwinkern. „Auf der Versuchsanlage können wir in einer sicheren Umgebung Schutzsysteme unter realen Bedingungen und mit realen Größen auf Herz und Nieren testen.“ Man müsse dann die Schutzleistung nicht hochrechnen oder abschätzen, sondern könne im korrekten Maßstab prüfen und messen, ob ein Schutzsystem wirklich das leiste, was der Hersteller angebe.
„Heute finden drei von insgesamt 36 Explosionsversuchen für unsere aktuelle Studie statt“, sagt Felix Deibel.
Die Messwerte kann der wissenschaftliche Mitarbeiter direkt auf dem Bildschirm einsehen, an seinem Büroarbeitsplatz zwischen Weißtannen, Kiefern und Fichten.
Dabei helfen zwei Apparaturen, die durch ihre beachtlichen Dimensionen auf den ersten Blick ins Auge fallen. In der Mitte des Steinbruchs ragt ein mit Metalltreppen eingekleideter Turm in die Höhe. „Unser Versuchselevator ist bundesweit einzigartig und wertvoll bei der Forschungsarbeit für die Lebensmittelindustrie, wo solche Vertikalförderer zum Beispiel in großen Silos oder Brauereien zum Einsatz kommen“, so Deibel. Ein paar Schritte weiter ragt ein gewaltiger Behälter in die Höhe, sein Volumen umfasst 60 Kubikmeter. Daneben wirkt der zweitgrößte Metallzylinder mit seinen 26 Kubikmetern fast zierlich. „Was die Möglichkeiten für unterschiedliche Versuchsaufbauten angeht, ist die Versuchsanlage Kappelrodeck einmalig“, betont Felix Deibel. Welche Vorteile das bringt? „Nur unter diesen Bedingungen lassen sich Schutzsysteme in dem Format untersuchen und prüfen, wie sie für industrielle Anlagen mit größerem Volumen und Explosionsdruck nötig sind.“
Enge Kurven, schnelle Flammen
Als das Akzente-Team auf der Versuchsanlage zu Besuch ist, wird gerade eine Nummer kleiner geforscht. „Wir testen heute in einem Fünf-Kubikmeter-Behälter den Einfluss von Rohrbögen auf die Geschwindigkeit der Flamme und des Drucks bei einer Staubexplosion“, erklärt Ulrike Faißt, eine weitere von insgesamt vier wissenschaftlichen Mitarbeitenden vor Ort, die in den Büros in der ersten Etage des Hauptgebäudes arbeiten. Ihr Kollege Felix Deibel steht jetzt nebenan in der Schaltzentrale und beobachtet durch das große Fenster die Versuchsvorbereitungen auf dem Gelände.
Im Erdgeschoss liegt eine gut sortierte Werkstatt, in der drei Mechaniker beschäftigt sind. Einer von ihnen ist Peter Schweiß, der draußen gerade eine 20-Bar-Druckluftflasche an der Außenhülle des Versuchsbehälters montiert. Befüllt hat er sie mit Weizenmehl, eine zweite Flasche bringt sein Kollege Frank Hockenberger auf der Rückseite des kleinen Silos an. Aus diesem führt eine hinten offene Rohrleitung mit 40 Zentimeter Durchmesser weg, in die ein 90-Grad-Bogen eingesetzt ist. Nach wenigen Minuten sind die Mechaniker fertig. Sie geben Felix Deibel ein Zeichen und ziehen sich in die Werkstatt zurück.
Rotlicht an – und Zündung!
Alle Vorkehrungen sind getroffen, niemand befindet sich mehr auf dem Versuchsfeld, die Messgeräte sind aufnahmebereit, der Zünder auf Widerstand geprüft. Felix Deibel schaltet die roten Warnleuchten an, die an der Zufahrt zum Steinbruch und auf dem Gelände gut sichtbar angebracht sind. Dann löst er einen weithin unüberhörbaren Sirenenton als Warnsignal aus. „Achtung! Zündung!“, spricht er deutlich in das Mikro, das mit mehreren Außenlautsprechern verbunden ist. Nach einem weiteren Kontrollblick über das Gelände löst er den Zünder aus. Im selben Moment pusten die Druckluftflaschen insgesamt fünf Kilogramm Weizenmehl in den Behälter. Eine halbe Sekunde später erfolgt die Zündung. Auf einen dumpfen Knall im Inneren des Silos folgt eine grelle Stichflamme, die eingehüllt von einer hellen Wolke aus dem offenen Ende der Rohrleitung ins Freie schießt.
Vom Feuerball zur Staubexplosion
„Was wir von außen nicht sehen: Im Inneren des Behälters ist ein Feuerball entstanden, der das Mehl-Luft-Gemisch unmittelbar entzündet hat“, erklärt Felix Deibel. „Das führt zu einer Staubexplosion, wie sie in vielen Betrieben und Anlagen vorkommen kann.“ Die aktuelle Versuchsreihe soll Aufschluss darüber geben, inwiefern sich gebogene Rohrleitungen auf die Explosion auswirken – und was das für Schutzkonstruktionen wie etwa Entkopplungssysteme bedeutet. Diese werden vielerorts in Verbindungsrohren zwischen Silos montiert und sollen durch spontanes Abriegeln verhindern, dass sich eine Explosion über mehrere Anlagenteile fortsetzt. „Bisher werden neue Entkopplungssysteme vor ihrer Zulassung nur an geraden Rohrverbindungen getestet“, sagt Ulrike Faißt. „Allerdings findet man in der Praxis aus Platzgründen häufig Rohrleitungen mit Bögen.“
Ausrichtung der Rohre, Anzahl der Kurven, Ort der Zündung, Art des eingebrachten Staubs: 36 Versuche unter variierenden Bedingungen sind für diese Forschungsphase angesetzt, die das Forschungsteam im Auftrag der FSA e. V. durchführt. „Falls sich herausstellt, dass sich die Geschwindigkeit der Flamme durch den Rohrbogen stark erhöht, müssten die Teststandards für Entkopplungssysteme angepasst werden.“
Forschung für besseren Arbeitsschutz
Die Forschungsschwerpunkte im Bereich Brand- und Explosionsschutz orientieren sich eng an den Problemstellungen der industriellen Praxis. „Unter dem Strich geht es darum, den Arbeits- und Gesundheitsschutz durch das Ableiten praktikabler und wirksamer Schutzmaßnahmen und -konzepte zu verbessern“, erklärt Felix Deibel. Dadurch konnten die Anzahl und Auswirkungen von Explosionsereignissen bereits reduziert werden. Das ist auch ein Verdienst der Versuche mit Knalleffekt in einem alten Steinbruch im idyllischen Nordschwarzwald.
„Fast alle Betriebe haben mit brennbaren Stäuben zu tun"
Dr. Andreas Arnold ist BGN-Fachbereichsleiter Brand- und Explosionsschutz sowie stellvertretender Leiter der Prüf- und Zertifizierungsstelle der FSA GmbH.
Inwiefern profitieren Betriebe direkt vom Engagement der BGN in der Versuchsanlage Kappelrodeck?
Dr. Andreas Arnold: Durch die Forschungsarbeit in der deutschlandweit einmaligen Versuchsanlage in Kappelrodeck generieren wir Wissen, das direkt in den betrieblichen Explosionsschutz einfließen kann. Aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse können unsere Fachleute die BGN-Mitgliedsbetriebe kompetent beraten. Denn: Auch ein geprüftes und zertifiziertes Schutzsystem kann wirkungslos sein, wenn es falsch eingebaut wurde oder nicht zu den Bedingungen vor Ort passt.
Bietet die BGN Ihren Mitgliedsbetrieben Weiterbildungen zum Thema Explosionsschutz an?
Ja, beispielsweise findet zweimal im Jahr in Ottenhöfen bei Kappelrodeck das zweieinhalbtägige BGN-Seminar „Staubexplosionen und deren Vermeidung“ statt, das neben Fachvorträgen im Tagungshotel auch drei anschauliche Versuche im Steinbruch beinhaltet. Wer einmal eine Staubexplosion in unserem 60-Kubikmeter-Behälter erlebt hat, ist auf ewig für das Thema Explosionsschutz sensibilisiert.
Für welche Zielgruppen sind diese Seminare gedacht?
Dieses Angebot richtet sich an Betriebe, die mit brennbaren Stäuben zu tun haben. Das betrifft fast alle, da neben Nutzstäuben wie Mehlen auch Abfallstäube explosionsfähig sein können, die etwa durch Abrieb beim Lagern, Transportieren oder Verarbeiten von Getreide, Pellets oder vielen anderen Produkten entstehen. Deswegen ist das Vor-Ort-Seminar – das für Beschäftigte aus BGN-Mitgliedsbetrieben inklusive Anreise, Unterkunft und Verpflegung kostenlos ist – regelmäßig ausgebucht.
Welche alternativen Angebote rund um den Explosionsschutz gibt es?
Ebenfalls zweimal jährlich findet in der FSA-Online-Akademie das Seminar „Explosionsschutz im Betrieb“ statt. Die regelmäßig mehr als 100 Teilnehmenden werden hier rund um das Thema informiert, für potenzielle Gefahren im eigenen Betrieb sensibilisiert und können auch jederzeit Fragen an unsere Fachleute stellen. Außerdem bietet die BGN bei Bedarf Inhouse-Schulungen für ihre Mitgliedsbetriebe an, mit auf die betrieblichen Bedingungen maßgeschneiderten Konzepten.
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