
Risiken erkennen, Arbeitsplätze bewerten, Verbesserungen umsetzen
Das kommt leider in vielen Betrieben vor: Beschäftigte klagen über Rücken- oder Gelenkschmerzen und entwickeln später nicht selten leistungsmindernde Erkrankungen. Dazu kommen auf Unternehmensseite erhebliche Kosten durch krankheitsbedingte Fehlzeiten, kompliziertere Schichtplanungen oder sogar Produktionsausfälle. Deswegen ist eine ergonomische Arbeitsplatzgestaltung im betrieblichen Arbeitsschutz unverzichtbar.
Obwohl viele Arbeitsprozesse heute von Maschinen durchgeführt oder unterstützt werden, existieren nach wie vor zahlreiche Tätigkeiten, die die Beschäftigten körperlich belasten. Das reicht vom Heben und Tragen von Lasten über Putz- oder Reinigungstätigkeiten in schlechter Körperhaltung bis hin zu manuellen Sortier- und Verpackungsarbeiten oder generell kraftbetonten Handarbeiten. Alle diese Tätigkeiten haben gemeinsam, dass die Beschäftigten unter den falschen Rahmenbedingungen hohen Belastungen ausgesetzt sind.
Wenn die Arbeit Rücken, Muskeln und Gelenke überlastet
Statistiken zeigen, dass Jahr für Jahr etwa ein Viertel aller Arbeitsunfähigkeitstage in Deutschland auf solche den Bewegungsapparat betreffenden Beschwerden zurückzuführen ist – hier zu nennen sind vor allem Beschwerden im Rücken, den Muskeln und Gelenken. Diese gesundheitlichen Probleme betreffen sowohl Frauen als auch Männer und zählen nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu den häufigsten Ursachen für Frühverrentung.
Eine gut durchdachte ergonomische Arbeitsplatzgestaltung ist kein Luxus, sondern eine betriebliche Notwendigkeit, um die Gesundheit der Mitarbeitenden zu erhalten und die Produktivität im Unternehmen sicherzustellen.
Besonders problematisch ist, dass ergonomische Beschwerden oft schleichend beginnen und sich ohne gezielte Gegenmaßnahmen zu chronischen Leiden wie Bandscheibenvorfällen oder Sehnenentzündungen entwickeln können. Einmal aufgetreten, sind diese Erkrankungen nur schwer zu behandeln und führen in vielen Fällen zu dauerhaften Einschränkungen. Das bedeutet: Wenn Mitarbeitende über Beschwerden klagen oder bereits krankheitsbedingt ausfallen, ist der Schaden in der Regel bereits angerichtet. Dies verdeutlicht die Dringlichkeit, sich mit der ergonomischen Gestaltung der Arbeit proaktiv und systematisch auseinanderzusetzen.
Ergonomie als fester Bestandteil der Gefährdungsbeurteilung
Die Prävention krank machender Belastungen beginnt mit einer systematischen Erfassung und Bewertung. Wie bei anderen Gefährdungen – beispielsweise durch Schneiden und Quetschen oder aber elektrischen Gefährdungen – muss auch Ergonomie in die Gefährdungsbeurteilung integriert werden. Das Erstellen einer eigenständigen „ergonomischen Gefährdungsanalyse“ ist hingegen nicht empfehlenswert, da auf diese Weise nur ein weiteres Dokument entsteht, das gepflegt werden muss.

Überall, wo regelmäßig körperliche Arbeit anfällt, muss sichergestellt sein,

... dass diese nicht zu einer Überlastung der Beschäftigten führt.
Praktisch: Ergonomiebewertung mit der Leitmerkmalmethode
Für viele Praktikerinnen und Praktiker mag das Thema Ergonomie auf den ersten Blick schwer greifbar erscheinen – vor allem, da keine einfach messbaren Grenzwerte wie etwa bei Lärm existieren. Eine bewährte Vorgehensweise ist der Start mit den branchenspezifischen Beurteilungshilfen der BGN. Diese bieten einen praxisnahen Einstieg in die Thematik und unterstützen dabei, körperliche Belastungen jeglicher Art festzustellen und einzuordnen.
Für eine detailliertere Bewertung eignet sich die Leitmerkmalmethode, die eine systematische Analyse der körperlichen Belastungen am Arbeitsplatz ermöglicht. Mit den namensgebenden Leitmerkmalen erfasst die Methode wesentliche Faktoren, die die ergonomische Belastung beeinflussen. Darunter fallen beispielsweise Wiederholungsfrequenzen, Hebe- und Tragelasten sowie Körperhaltungen. Diese Merkmale werden in einem standardisierten Verfahren erfasst und fließen in eine Berechnungsformel ein, die die ergonomische Belastung eines Arbeitsplatzes objektiv bewertet.
Die Leitmerkmalmethode ermöglicht eine systematische Analyse der körperlichen Belastungen am Arbeitsplatz – auch mit Blick auf die wesentlichen Faktoren, die die ergonomische Belastung beeinflussen.
Der große Vorteil dieser Methode liegt in ihrer Anwendungsfreundlichkeit. Sie erfordert keine spezielle Ergonomie-Expertise und kann von betrieblichen Praktikerinnen und Praktikern unkompliziert eingesetzt werden. Die Anwendung ist dabei sowohl im laufenden Betrieb als auch bei der Neuplanung von Arbeitsplätzen zielführend. So können nicht nur bestehende Arbeitsplätze überprüft, sondern auch geplante Veränderungen im Vorfeld hinsichtlich ihrer ergonomischen Wirkung analysiert werden. Wenn die Methode beispielsweise zeigt, dass der Arbeitsplatz durch eine Umgestaltung – wie die Anpassung der Arbeitshöhe oder die Anschaffung einer Hebehilfe – von einer hohen zu einer akzeptablen Belastung umgewandelt werden kann, gibt es wenig Gegenargumente hierfür.
Tipps für die Integration ergonomischer Gefährdungen in der Gefährdungsbeurteilung:
- Unbedingt die betroffenen Beschäftigten bei der Analyse, Bewertung und Lösungsfindung ergonomischer Sachverhalte miteinbeziehen.
- Bewertungsverfahren wie die Leitmerkmalmethode zum Bestimmen der vorliegenden Belastung nutzen.
- Die Bewertung sowie die getroffenen Maßnahmen dokumentieren.
- Die Bewertung der Arbeitsplätze in regelmäßigen Abständen wiederholen – vor allem, wenn sich Rahmenbedingungen ändern.
- Langfristig am Thema Ergonomie dranbleiben und die Wirksamkeit von umgesetzten Maßnahmen überprüfen.
Verbesserungen umsetzen: Maßnahmen nach dem TOP-Prinzip
Nachdem mithilfe der Leitmerkmalmethode ergonomische Risiken identifiziert wurden, stellt sich die Frage, wie die gewonnenen Erkenntnisse umzusetzen sind. Hier kommt das bewährte TOP-Prinzip des Arbeitsschutzes zum Einsatz, das vorsieht, zunächst technische Maßnahmen zu ergreifen, danach organisatorische und erst zuletzt oder ergänzend personenbezogene Maßnahmen zu nutzen.
Im ersten Schritt sollte geprüft werden, ob durch technische Veränderungen die Belastungen reduziert oder gar beseitigt werden können: Gibt es Hebehilfen, die den Beschäftigten schweres Heben abnehmen? Oder kann durch eine treppengängige Sackkarre der Transport von Fässern oder Kästen in den Keller unterstützt werden? In vielen Fällen bewirkt auch die Anpassung der Arbeitshöhe eine deutliche Verbesserung. Höhenverstellbare Tische oder Tischauflagen für feinere Tätigkeiten ermöglichen eine aufrechte und entspannte Körperhaltung bei der Arbeit.

Mit höhenvariablen Hubtischen wird eine ...

... durchgehend aufrechte Körperhaltung sichergestellt.
Nicht zu unterschätzen sind auch organisatorische Maßnahmen: Eine zeitliche oder räumliche Optimierung der Arbeitsabläufe hilft dabei, einen ruhigeren Arbeitsfluss zu erreichen und gedrängte Arbeitsverhältnisse zu umgehen, was Stress und Zwangshaltungen vorbeugt. Die Einführung von regelmäßigen Kurzpausen oder der Wechsel zwischen unterschiedlichen Tätigkeitsarten können wiederum einseitige Belastungen vermeiden, die insbesondere bei bewegungsarmen, repetitiven Tätigkeiten auftreten.
Die Sensibilisierungen und Schulungen der Mitarbeitenden im Hinblick auf ergonomisch richtiges Verhalten sind wiederum den persönlichen Maßnahmen zuzuordnen. Darunter fallen Maßnahmen, die beispielsweise das korrekte Heben und Tragen schwerer Lasten und die korrekte Einstellung der Arbeitsplätze sicherstellen. Dazu kommen Empfehlungen und Anleitungen zur Durchführung von Ausgleichsübungen. Solche Maßnahmen dürfen allerdings nur eine Ergänzung sein und sollten nicht als alleinige Lösung verstanden werden, da sie allein oft nicht ausreichen, um vor gesundheitlichen Problemen zu schützen.
In dem Unternehmen rechtzeitig ergonomische Belastungen erkennen und diese gemäß TOP-Prinzip systematisch angehen, können sie nicht nur krankheitsbedingte Ausfälle reduzieren, sondern auch die Zufriedenheit und Effizienz ihrer Belegschaft langfristig steigern.
Ergonomie leben – mit der Leitmerkmalmethode zu einer gesunden Arbeitsumgebung
Eine gut durchdachte ergonomische Arbeitsplatzgestaltung ist kein Luxus, sondern eine betriebliche Notwendigkeit, um die Gesundheit der Mitarbeitenden zu erhalten und die Produktivität im Unternehmen sicherzustellen. Die Leitmerkmalmethode bietet eine einfache und effektive Möglichkeit, ergonomische Risiken zu bewerten und gezielte Verbesserungen abzuleiten.
Indem Unternehmen rechtzeitig ergonomische Belastungen erkennen und diese gemäß TOP-Prinzip systematisch angehen, können sie nicht nur krankheitsbedingte Ausfälle reduzieren, sondern auch die Zufriedenheit und Effizienz ihrer Belegschaft langfristig steigern. Die menschengerechte Arbeitsplatzgestaltung ist und bleibt dabei ein kontinuierlicher Prozess, der immer wieder überprüft und optimiert werden muss. Hierfür bedarf es, Ergonomie im Unternehmen „zu leben“ und nicht als einmaliges Projekt zu verstehen.
BGN-Branchenwissen: Themenseite „Ergonomie“
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA):
Themenseite „Gefährdungsbeurteilung mit den Leitmerkmalmethoden“
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